Sa 7.9. München-Brenner-Lavarone
Die Nacht war nicht so erholsam. Das Frühstück fällt heute aus, ich kriege nix runter. Also geht es halb 8 schon los, auf in den Süden. Der erste Wegpunkt ist der Brennerpass, bzw. die Stadt Brenner, also neben der Autobahn. Danach kommen ein paar Punkte in den nördlichen Dolomiten, bei denen ich noch nie war, und die außerhalb der Tagestour-Reichweite des Höhentreffens liegen. 550 km gesamt sind geplant.
Zum Start ist es heute früh richtig kalt und es ist Dauerregen angesagt. Ich ziehe alles an, was ich habe, und merke leider erst jetzt, dass Kombi, Stiefel, Helm und Handschuhe über Nacht in einem ungeheizten, aber gut gelüfteten Raum verbracht haben. Also schützt mich die Kleidung zunächst nicht nur vor der 5° kalten Luft, die mit 100 km/h drauf einprasselt, sondern sie nimmt zunächst auch meine Körperwärme auf, bis sie zumindest von innen warm ist. Insgesamt ist das auf einem Naked Bike nicht ideal.
Die Strecke durch Deutschland ist unspektakulär. Ich habe keine deutschen Passknackerpunkte hier mehr offen, es geht auf schnellstem Weg südlich.
In Österreich fährt man etwas gesitteter, und bald bin ich in Innsbruck. Ich komme gut vorwärts. Das Navi nennt mir die vorletzte Tankstelle in Österreich - der Tank ist eh bald wieder leer, und in Italien ist tanken teuer und nervig (oft nur Automaten die kein Wechselgeld geben).
Mein Navi schickt mich trotz "Maustrecken (Vignette) vermeiden" auf die Brennerautobahn - ich meine aber, dass man dort nicht nur Streckenmaut bezahlen muss, sondern zusätzlich auch noch die Vignette braucht. Also wird umgeplant, was Zeit kostet und die Route verlängert. Den Ostteil der Route durch die Dolomiten halte ich mir als optional offen. Ich raste an einem Supermarkt, wo es ein Laugenbrötchen und einen heißen Kakao gibt - inzwischen ist mein Magen aufnahmefähig. Der Ort Brenner ist der einzige Passknacker in Österreich heute – ich hatte alles andere schon bei früheren Reise dieses Jahr erledigt. Das Wetter ist leider typisch Österreich…
Kaum in Italien angekommen wechsle ich aus Zeitgründen auf die Autobahn. Vor der ersten Mautstation gibt es rund 5 km Rückstau. Nach der Mautstation überhole ich ein Motorrad, dass mir irgendwie bekannt vorkommt - richtig, den Typ kenne ich doch! Er erkennt mich auch, und wir winken uns eifrig zu. Wir haben heute das gleiche Ziel. Fortan folgt er mir unauffällig, auch als ich die Autobahn zwecks Passknacker-Route verlasse. Großes Hallo vor der Mautstation, und danach Abstimmung: Wir fahren zunächst mal zusammen los, und schauen dann wie es sich entwickelt.
Mein erster Passknacker ist ein Gasthof auf 1730 Höhenmetern, die Kiener Alm. Schon kurz nach dem Verlassen des Tals haben wir Sonne, und sehen die Wolken plötzlich von der Seite. Wunderschön! Es wird auch warm! Die Sonne habe ich heute noch nicht gesehen, und gestern auch nicht wirklich.
Der Weg zum Gasthof hoch ist in asphaltiert und breit, aber in schlechtem Zustand. Ich hänge meinen Mitfahrer deutlich ab. Logisch, ich bin ja auch mit Gepäck leichter als er ohne, und er hat 4 Koffer/Taschen, ich dagegen nur eine. Wir gönnen uns mittags eine leckere Speckknödelsuppe, und teilen uns dann auf. Ich will weiter knacken, er will mit dem Gepäck nicht so kleine Strecken fahren. Das kann ich verstehen - und wir sehen uns ja noch die ganze Woche.
Ich fahre nun also alleine die Rodenecker Alm hoch. Das ist ein abgelegener, aber überraschend gut unterhaltener Pass nach Süden. Alles läuft gut, bis ich auf der Südseite schon am nächsten Berganstieg bei einem gemütlichen Kurvenausgang im zweiten Gang plötzlich eine 90° Schräglage einnehme. Eine spontane Betrachtung der Situation führt zur Feststellung, dass ich gerade mit dem Gesicht nach unten auf einer Holzbrücke liege. Nasses Holz ist wohl nicht sehr griffig. Ich habe ja schließlich Sportreifen montiert, und nicht Holzreifen. Eigentlich weiß ich sowas, ich war wohl gerade nicht wirklich bei der Sache und hier auf dem Holz mit der Kurve noch nicht ganz fertig. Kurzer Selbstcheck: Alles noch dran, nix tut nennenswert weh. Sogar die Regenkombi ist noch ganz. Das Motorrad liegt auf der rechten Seite - was schade ist, denn links lag sie ja beim Vorbesitzer schon. Ich kann sehen, dass der Handbremshebel komplett ab ist, weil der Lenker unterm Motorrad klemmt, und der Handprotektor ist völlig verdreht. Aber es sieht sonst alles gerade und vollständig aus. Sogar Topcase und Tankrucksack sind noch dran.
Das müsste sich doch eigentlich retten lassen. Ersatzhebel habe ich schließlich immer dabei. Also zunächst Gepäck runter und von der Brücke getragen. Dann eine Minute gewartet, ob vielleicht jemand vorbeikommt, der mir beim Aufheben helfen mag - da kam aber keiner, es ist einsam hier. Das Motorrad liegt mit den Rädern leicht bergauf, also etwas über Kopf - ich versuche mich trotzdem alleine am Aufheben, Kraft meiner 75 kg auf 190 cm, und schaffe es tatsächlich. Ich habe zwar keinen Handbremshebel mehr, versuche aber trotzdem, reinzugriefen, als sie wieder steht. Ich habe auch vergessen, zuvor den Seitenständer auszuklappen. Ich stehe auf nassem Holz, und der Vorderreifen klemmt am Seitenteil der Brücke. Aber ich kriege das Motorrad gedreht und steige auf. Sitzend kann ich die Fußbremse benutzen, auch wenn der Hebel ein Wenig verbogen ist. Immerhin ist die Fußraste noch dran - davon habe ich je eine zuhause, wo sie mir wenig nützt, fällt mir gerade so auf. Das hintere Achs-Sturzpad hängt schief, weil sich die Gewindestange verbogen hat - da wurde also Kraft aufgenommen. Auch das Motor-Schutzpad (China) hat Gebrauchsspuren. Vom Handprotektor (China) ist leider die innere Aufnahme gebrochen. Ich habe aber Kabelbinder dabei, um ihm am Verdrehen zu hindern. Die Verschraubung am Lenkerende (Rizoma) sieht schief aus, aber sie hindert den Handprotektor noch am Verlorengehen. Das passt so.
Ich fummle das Topcase runter und hole das Werkzeug raus. Dann demontiere ich den Topcaseträger, um unter die Sitzbank zu kommen. Dort löse ich den Kabelbinder, mit dem der Ersatzbremshebel an den Rahmen gezippt ist. Dann löse ich den traurigen Rest des abgebrochenen Bremshebels - dafür braucht man oben einen Schlitz-Schraubendreher, und unten einen 10er Schlüssel. Ich habe 6 verschiedene Schlüssel dabei, aber keinen 10er - was soll das denn? Ach, vermutlich habe ich den vorgestern zum Batteriewechseln benutzt und daheim liegen lassen. Glücklicherweise geht es aber auch mit meiner hochwertigen Zange. Alles wieder zusammenbauen und aufräumen, fertig. Danach kann man auch noch das zweite Brötchen aus der Bäckerei mampfen.
So kann ich nun die Fahrt fortsetzen, und mit mehr Konzentration die restlichen vier Passknacker sammeln. Den weiteren Weg durch die östlichen Dolomiten habe ich gestrichen, was etwa 100 km spart. Es geht ab auf die Autobahn. Da es im Tal richtig warm und sonnig ist, fahre erstmals heute gänzlich ohne Regenkombi. Die Autobahn ist richtig öde und anstrengend mit einem Naked Bike, wenn man Versys mit Givi Airflow gewöhnt ist, aber die Aussichten im Etschtal entschädigen.
Die letzten Kilometer geht es einen Pass hoch. Ich laufe nach dem Tanken (schon wieder!) auf einen Traktor auf, und kann wegen Kehren nicht sofort überholen. Dabei läuft eine R1200GS auf mich auf, die mich im nächsten Ort überholt. Italienisches Kennzeichen. Na, dann zeig doch mal, was du kannst! Weniger als eine Minute später stelle ich ernüchtert fest: Der kann nicht viel. Kurven schneiden wie ein Weltmeister, am Kurvenende wippt er lustig mit dem Kopf nach innen, und Schräglage kann er auch ganz ok - aber ich komme nicht nur mir, ich langweile mich, trotz Sicherheitslinie. Einen Transporter überhole ich 1 Minute später als er, und nach 2 Minuten bin ich wieder dran. Wow. Das kriegt er auch irgendwann mit und lässt mich passieren. Ich fahre ein paar Kurven oberes Wohlfühltempo, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ich heute bereits einen Sturz hatte, und habe dann freie Sicht in den Spiegeln. Das sind so die kleinen Freuden des Bikerlebens Dann ist Passknacker-Fotopause angesagt, er passiert, und wir winken uns freundlich zu.
Auf dieser Strecke fährt man ständig auf oder neben einem nachträglich längs eingebauten Kanal, bzw. auf den Fugen zum Altbelag. Und, was soll ich sagen, bei allem Gemotze über das Fahrwerk der MT-09: Da fahre ich völlig entspannt rastenschleifend drüber und drauf rum, da arbeiten die Reifen, aber sonst passiert da gar nix!
Und dann bin ich auch schon in Lavarone! Obwohl es Samstag, 17:50 ist, hat ein Supermarkt offen, und ich kaufe ein Sixpack Wasser für die nächsten Tage. Direkt am Hotel du Lac angekommen, wo das Höhentreffen jetzt schon das 3. Mal wohnt, gibt es ein freudiges Wiedersehen mit bekannten Gesichtern, und einige sehe ich auch das erste Mal. Wir sind mehr Leute geworden. Mein Begleiter vom Mittag ist auch schon angekommen. So beginnt dann der gemütliche Teil des Abends.
Die Route heute waren 450 km, was bei Kälte auf der Naked ziemlich schlaucht. Der Windschutz ist so schlecht, dass sitzend oder stehend zu fahren nicht mal auf der Autobahn einen Unterschied macht.