Di 17.09. Italien, Izoard, Vars, Bonette
Morgens sind wir im Hotel aufgebrochen, um den kleinen Schotterpass Col de la Pousterle in der Nähe gefahren, und zwar ohne Gepäck! Das tut doch mal wieder gut. Der Pass an sich war nichts besonders und weder besonders schwer noch schön noch lang. Immerhin fahren wir das erste Mal durch eine Elektroschranke.
Danach wieder zum Hotel, eingeladen und ausgecheckt. Markus nimmt mir etwas Gepäck ab (Vakuumbeutel mit sauberer Wäsche). Das ist der größte Freundschaftsdienst, den ich mir bei einer Rundreise vorstellen kann - Danke, Mann! Nebenan kaufen wir Frühstück ein und los geht die Tour! Der zweite Punkt heute ist der Col de l'Echelle. Da fährt man reichlich Kilometer ein Hochtal entlang, biegt rechts ab, und kommt dann irgendwie nach Italien rüber, und zwar nach Bardonecchia. Wir frühstücken aber erst, und fahren dann lieber wieder zurück und zum Montgenèvre, weil wir lieber in Frankreich als in Italien fahren, und weil ich nicht glauben konnte, dass es da durchgeht. Über den Montgenèvre geht es nach Italien. Eigentlich wollte ich die Asietta-Höhenstraße fahren, aber mit dieser Topcase-Konstruktion wird das nichts. Auch Markus war nicht ZU begeistert von der Vorstellung, 50 km Schotter zu fahren. Also hatte ich umgeplant und schnappe in Italien ich nur einen Passknacker, den Colle del Sestrière mitten in einem Ort, und dann sonst nur die Kurvenstrecken rundum. Das klappt gut um macht Spaß. Und Spaß muss ja auch mal sein.
Zurück über den Montgenèvre geht es wieder nach Frankreich, schweizer Motorradfahrer jagen, die italienische Sitten beherrschen. Wer fährt denn sonst bitte Yamaha FJR mit Brülltüten und fährt auf einer Kurvenstrecke mit Tunneln im Hochgebirge, als wäre es ein Computerspiel?
Dann geht es wieder auf die Route das Grande Alpes. Über den Izoard geht es mit reichlich Fahrspaß. Die Landschaft ist auch beeindruckend, aber man ist es inzwischen fast schon gewohnt. Abwärts kann man rechts zum Col de Furfande abbiegen, einem Schotterpass, der nur von einer Seite befahrbar ist. Es sind 29 km bis zum Gipfel. Da die Yamaha schon seit 15 km auf Reserve fährt und die nächste Tanke 27 km entfernt ist, bei einer vermutete Reservereichweite von 45 km, habe ich Bedenken, diesen Schotterpass jetzt zu fahren. Man könnte zuerst tanken fahren, was ein großer Umweg und Zeitverschwendung ist. Man könnte Benzin bei Markus abzapfen - einen Schlauch habe ich, aber kein geeignetes Gefäß. Plastikflaschen werden von Benzin ruckzuck aufgelöst. Man könnte bei Anwohnern hausieren gehen, wobei das hier ja kein echter Notfall ist. Wie ich so sinniere kommt Markus mit dem größten Vorschlag aller Zeiten um die Ecke: Ich kann mir sein Motorrad leihen. Er hat ja deutlich mehr Reichweite. Wow. Da bin ich baff. Sein Motorrad zu verliehen fällt niemanden leicht. Mir ein Motorrad zu leihen, wenn man weiß, dass ich alles außer langsam bin, ist eine andere Hausnummer. Und für den explizierten Wunsch, einen Schotterpass damit zu fahren, ein Straßenmotorrad zu verleihen, das zeugt von Vertrauen, das als Selbstaufgabe grenzt. Da kann ich gar nicht anders, als ECHT?! JA KLAR! zu sagen. Markus will derweil sein gewerkschaftlich garantiertes Mittagsnickerchen halten - ob er da ein Auge zubekommt?
Nun denn, auf geht's mit einer F800R auf Pirelli Angel GT einen Schotterpass hoch. Das Gepäck haben wir extra abgebaut. Die Kehren sind betoniert, die Geraden lose. Es sind Furchen drin und auch Steine bis Golfballgröße. Der 1. Gang ist sehr lang übersetzt, der Motor schiebt ganz unten aber gut, die Sitzposition ist tief und hecklastig, aber das klappt eigentlich alles sehr gut. Ich mache zwei Pausen für Konzentration und Handgelenke auf 8 km. 2 km vor dem Ziel warnt ein Schild vor den Herausforderungen des letzten Abschnitts und empfiehlt, hier zu parken. Ich beiße mich natürlich durch bis ganz oben. Geschafft! Hier geht’s nicht mehr weiter.
Und da oben stehen dann Autos. Panda, natürlich, aber nicht 4x4 aus 1983, sondern das aktuelle 0815-Modell, und auch sonst normale Autos. Andere Wege hierher gibt es nicht. Okay, die Locals sind also recht schmerzfrei. Oder Touristen mit Mietwagen. Offenbar hat denen noch niemand gesagt, dass man einen SUV mit Allradantrieb und 2 Tonnen Masse für solche Wege braucht.
Im Display der F800 steht "Lamp". Tatsächlich, das Rücklicht hängt schief. Es ist rechts und links mit einer Schraube fest, und die rechte ist nicht mehr im Gehäuse drin. Clever, der Bordcomputer! Ich verwende die noch montierten Rokstraps, um das Rücklicht mittig zu fixieren, damit es nicht ganz verloren geht. Den Pass runter geht es einfacher als hoch, mit Angst vorm ungebremsten Absturz statt Angst vorm Abwürgen und Umkippen im Stand. Am Parkplatz angekommen ist Markus putzmunter und am Telefonieren. Er guckt sich das Rücklicht genauer an und fixiert es mit Kabelbindern. Ich stopfe das abgebrochene Massekabel wieder in den Kabelschuh, damit es wieder ordnungsgemäß leuchtet. Voila, sieht auf den ersten und zweiten Blick normal aus und hält 100 Jahre, oder bis zum Morgen vor der nächsten Fahrt zum TÜV.
Danach geht es zur nächsten Tanke. Dank Google finden wir eine Tanke in 12 km Entfernung, und dann geht's euphorisch den Col du Vars hoch. Das macht ja mal richtig Laune! Dort wird auch mal eingekehrt und Eis und Kaffee genossen. Meine Yamaha freut sich über ein kleines Familientreffen.
Dann geht's spaßig nach Jausieres zu unserer bescheidenen Unterkunft, doch dazu später mehr. Jetzt gilt es keine Zeit zu verlieren, wenn wir haben noch einen Plan: Die Cime de la Bonette liegt nur 12 km die Straße rauf. Die höchste "Passstraße" Europas. Nur warten darf man nicht, denn es wird bald dunkel. Die Fahrt ist einfach wunderbar! Man hat 18 Uhr fast alles für sich alleine. Bei bestem Wetter und Fernsicht.
Da uns das noch nicht genügt, biegen wir abwärts scharf links ab und Col de la Moutière. Einfach hier scharf links fahren. Da fährt man 3 km Schotter und landet bei einem Bunker. Auf die Strecke kann man vom Bonette oben hinabblicken. Die Murmeltiere wundern sich über die späte Störung. Wir freuen uns über die Landschaft und das Abenteuerfeeling.
Zurück in Jausiers schnappen wir uns das Abendessen am See. So kann der Tag ausklingen. Zurück zum Hotel mache ich die erste Fahrt mit der Yamaha beim Dunkelheit und bin vom LED-Licht begeistert: Das Licht liefert eine komplett einheitliche Ausleuchtung eines klar abgegrenzten Bereichs, der geradeaus auch perfekt reicht. In Kurven sieht man eher weniger, weil sie vorne weiter einfedert als hinten. So kommen wir wieder an der Unterkunft an, der vielleicht schönsten auf dieser Reise.
Nein, wir haben nicht das ganze Schloss, nur ein 30 qm-Zimmer mit sehr getrennten Betten, Platz für vier Leute und Balkon. Unser Hotelzimmer riecht inzwischen sehr nach dem Käse, den wir jetzt zwei Tage spazieren fahren, den wir vor der Abendrunde hier abgelegt haben. Dafür haben wir einen Balkon zum Tal und können am Himmel 1 Million Sterne sehen. Lichtverschmutzung gibt es hier nicht wirklich. Sehr zufrieden geht’s ins Bett.