Portugal "auf Achse"

  • #42

    Sa 19.3.22 Lyoner Land


    Heute ist der vorletzte Tag dieses Urlaubs. Es soll deutlich nach Norden gehen, bis mindestens Lyon, damit ich am Sonntag keine ganz so brutale Tour vor mir habe. Das wären 3,5h Autobahn, oder 4,5h nach Macon, weiter nördlich. Ich habe aber einen Bogen westlich um Lyon vorbereitet, den ich heute zumindest probieren möchte. Immerhin habe ich die Zeit, das Wetter ist besser als je zuvor auf dieser Reise, und das Motorrad ist auch noch fit. Also los.


    Zunächst aber finde ich einen Zettel an meinem Motorrad. Er ist auf französisch geschrieben, schwarz, die Schrift ist etwas verwischt. So weit ich das deuten kann, beschwert sich jemand über unfreundliche Behandlung, mangelndes Einfühlungsvermögen und fehlende interkulturelle Kompetenz. Unterzeichnet ist der Brief sinngemäß mit "Dein Michelin Pilot POWER". Na gut, er musste oft durch den Dreck, bekam etwas Schnee ab, fuhr bei 1° durch ein Skigebiet, und nach einer Pause am unbefestigten Straßenrand ist er ein gutes Stück die Asphaltkante entlanggeschrappt, bis er den Weg hoch gefunden hat. Als Sportreifen würde ich mich da auch fehl am Platz fühlen. Keine Angst, kleiner Hinterreifen, heute scheint die Sonne und es kommen Kurven! Ansonsten ist das Motorrad sehr dreckig nach ein paar Regentropfen nachts auf der Staubschicht, aber es springt willig an und fährt ohne weitere Warnlampen oder Auffälligkeiten.


    Zunächst geht es 240 km Autobahn stumpf nach Norden. Podcasts helfen. Im Rhonetal biege ich schließlich links ab, Col de Viaux ist der erste Punkt. Heissa, das macht Freude.



    Der Hinterreifen sieht schon etwas weniger traurig aus. Es folgen Punkte auf einer Linie nach Nordwesten, und es klappt wie am Schnürchen. Ich hatte die Befürchtung, das ich hier wieder Waldwege fahren muss, aber das hier sind ordentliche Motorradstrecken. Das finden auch Einheimische, ist es schließlich ein sonniges Wochenende. Der Hinterreifen quiekt vergnüngt, legt die Scheu ab und zeigt den Übergang von harter Mitte zu weichem Rand optishch sehr deutlich. Das war eine gute Idee mit dem frischen Reifen. Dem Vorderreifen wird das gegen Ende des Tages etwas zu hektisch, aber ich habe es ja nicht eilig.






    Ich hatte in diesem Urlaub bisher noch keinen eiligen Einheimschen. Der gehört zu jedem Motorradurlaub in Südeuropa, und ist ein Motorrad- oder Autofahrer, der es ganz schön eilig hat. Meistens Autofahrer. Der heutige Kandidat schleicht sich von hinten an, als ich nach einer Pause einen Pass runter fahre. Klar, bergab hat er keinen so großen Leistungsnachteil. Ich lasse ihn vorbei und staune nicht schlecht. Der fährt Rechtskurven komplett auf der linken Straßenseite an. Entweder hat er Röntgenaugen, einen Papa mit Militärsatelliten, oder unverschämtes Glück. Daraus schließe ich, dass es in dieesm Landkreis sicherlich keinen zweiten solchen Fahrer gibt, sonst hätten die sie sich schon sehr plötzlich kennengelernt, mit großem Getöse, und dann weitere Autofahrten eingestellt.


    Irgendwann beim fröhlichen Pässesammeln meldet sich die Reserveleuchte. Achja, Tanken! Ich bin im Hinterland, es sind wenig Tankstellen entlang der Route. Diese eine in Pelussin müsste aber reichen, wenn auch knapp. Sehr knapp. Nagut, es geht bergab, und wenn ich einfach hinter den Autos her rolle... da habe ich doch den Col du Planil glatt übersehen, Foto vergessen. Naja. Danach rechts abbiegen, Autoschlange, Checkpoint: Nö! Hier heute bitte nicht mehr. Die Strecke zum Ort mit der Tankstelle ist gesperrt wegen einer lokalen Rally. Ach das noch. Also in die andere Richtung, ab ins Tal nach Saint-Chamond, da stehen 30 Autos Schlange an der Tankstelle. Uff. Sich hier vorzudrängeln ist wohl keine SO gute Idee. Es sind aber auch 8 Zapfsäulen offen, also dauert es nicht allzu lange. Ich gehe derweil meine Optionen durch: Zurück in die Berge scheidet. Jetzt kann ich direkt auf die Autobahn, durch Lyon, oder noch 4 Passknacker im Westen davon sammeln. Ach, ich habe heute schon 14 Passknacker, und 17 Uhr im Hotel wäre auch nicht zu früh. Ab jetzt direkte Strecke. Ich buche ein Hotel bei Macon, tanke voll, und ab geht's.


    Die Autobahn führt wirklich mitten durch Lyon. Es ist echt eine Schande. (Und ich fahre da entlang...) Eine Stunde später, beim Verlassen der Mautobahn schiebe ich das Ticket in die Mautstelle, fummle die Kreditkarte hervor - da fragt der Automat nach dem Ticket. Das hast du doch schon? Oder wieder ausgespuckt und vom Winde verweht? Schöne Scheiße! Wer das Mautticket verliert, zahlt Höchstrafe - also die höchste Maut, die man auf dem Weg hier her sammeln können hätte. Ich suche alles ab, nichts zu finden. Ich drücke auf den Hilfe!-Knopf. Eine französische Stimme fragt, ob sie helfen könne, und in dem Moment sagt der Autobahn: 3,50 Euro, bitte! Voila! Kreditkarte dran gehalten und weiter. Maut, ein Spaß für die ganze Familie.


    Das Hotel in Macon ist einfach und abgelegen, aber ruhig und gepflegt, und es ist ein Restaurant daneben. Ich glaube, das passt mir heute genau so. Dass der Fön fehlt, merke ich erst nach der Dusche, aber hey. Ich ziehe eine komplett frische unterste Lage an fürs Restaurant, bin ich nicht zivilisiert?




    14 Passknacker und 575 km heute

    Rangliste Platz 4 von 128

    726 km nach Hause, noch 1 Tag

    2 von 2 Rückspiegeln intakt

  • #43

    Hast mich gerade zum Schmunzeln gebracht - AB führt mitten durch Lyon. Mein Lieber, da gibt es bereits seit Mitte/Ende der 90ziger Jahre eine AB-Umgehung, östlich um Lyon herum. Paar Kilometer mehr, Zeitaufwand etwa der Gleiche oder gar weniger, sofern in Lyon gerade etwas (oder mehr) Rushhour ist.


    Habe das live und in Farbe so um die Jahrtausendwende ausprobiert, als ich einer in unserer Urlaubsgruppe mitfahrende "Kollegin" durchs Herz von Lyon nachgejagt bin. Die Gute hatte glatt die Abfahrt für die Ostumgehung ignoriert (sage nur weiblicher "Raketenstart" nach der Peage-Station kurz davor ^^) und bin ihr dann als Kavalier "nachgesprungen", damit sie Gesellschaft hat und um ihre sichere Durchfahrt durch Lyon mit abzusichern.


    Dank einigmaßen mässigem Verkehr waren wir dann perfekt zeitgenau am Punkt des nördlichen Anschlusspunkt der AB-Umfahrung und haben uns dann wieder in die Gruppe einsortiert. Vermisst hatte man uns nicht, dachte wir wären vor Ihnen und auf der "Flucht".


    War aber etwas stressiger, da ich die Kollegin doch mit etwas Vehemenz durch den Lyoner-AB-Verkehr "gezogen" habe ;). Zeitdruck hat, um die Gruppe möglichst wieder einzufangen 8o. Dagegen war die mehrfache Nutzung der Lyoner-AB-Umfahrung deutliche entspannter. Die Umfahrung wurde ja auch nicht ohne Grund geschaffen. So echt freiwillig fahre ich durch Lyon bestimmt nicht mehr. Aber einmal will man ja vielleicht Lyon auch mal sehen :P, wobei bei mir nichts visuell lohnenswertes hängen geblieben ist. Aber vielleicht hat man Dir für die Stadtautobahn ja auch einen Passknacker-Punkt versprochen? ;)


    Sage jetzt schon mal Danke für Deine schöne und unterhaltsame Schilderung Deiner Tour. Habe ich mit Vergnügen gelesen.


    Schöne restliche Kilometer auf der Heimfahrt.

  • #44

    Hey, in Frankreich mit dem Motorrad auf der Autobahn geht einiges, wofür man in Deutschland gejagt werden würde. Aber darüber sprechen wir hier lieber nicht.

  • #45

    z.B. 130 km/h mit dem Moped auf dem Anhänger fahren, solange das Gespann <3,5 t hat.... in Deutschland nur 80 km/h. Mit 100er Zulassung interessanterweise nur 100 km/h in Frankreich. Ohne das 130 km /h. Schon verrückt. Aber schneller als 110 km/h fahre ich eigentlich dort nie wegen des Verbrauches.


    Ein herrlicher Bericht und ich freue mich immer wieder über das Essener Kennzeichen. Alter Lyriker. ;)


    Entspannte Grüße
    Stoppelhoser

    Ich kann gut Mitmenschen umgehen.

  • #50

    Hallo Johannes


    Ich habe dein Bericht verfolgt und muss dir meinen großen Respekt aussprechen.

    Das ist schon eine Hammer Gewalttour mit sportlichen Charakter gewesen.

    Also ich hätte das nicht hingekriegt bzw überlebt. ;)


    Vielen Dank auch für den Ausführlichen Bericht. Er war sehr unterhaltsam und meine morgendliche Lektüre.


    Peter

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