Di 13.4. Aragon
Die Nacht war unruhig, weil das Haus dünne Wände hat. Und obwohl der riesige Parkplatze nahezu leer ist, scheint jemand neben und über mir zu rumoren. Man kriegt eben, was man bezahlt. Das Motorrad habe ich hinter einem LKW geparkt, so dass es weder von der Straße noch vom Hotel aus zu sehen ist. Als ich morgens hinlaufe, glaube ich selbst, dass es geklaut wurde, bis ich fast davor stehe
Es ist aber noch da, vollständig, einigermaßen sauber, und springt auch sofort an. Wettermäßig sieht es gut aus, aber morgens um 8 Uhr sind es 4 Grad. Um 9 Uhr sind es schon 8 Grad. Ich wage mal einen Start ohne Regenjacke, denn die Sonne wärmt deutlich. Wird’s zu kalt, einfach anhalten und 5 Minuten warten.
Heute stehen 8 Passknackerpunkte auf dem Programm. Warum so wenige? Weil Spanien zwar viele Punkte beim Passknacker hat, diese aber räumlich nicht zusammen hängen. Mal 4 Punkte hier und 50 km weiter noch mal 4. Da wundert man sich beim planen etwas und ärgert sich über lange und -weilige Überführungsetappen. Vor Ort stelle ich heute fest: Was hier Überführungsetappe heißt, toppt das meiste, was wir in Deutschland an Strecken haben. Stellt euch die Schwarzwaldhochstraße vor, nur ohne Verkehr, ohne Tempolimit, und ohne störende Bäume, die die Aussicht versperren. Voila, so ist Motorradfahren in Spanien, wenn man nur von A nach B kommen will und nicht zufällig beides im gleichen Tal liegt. Ich habe also mächtig Spaß und bin wieder mal froh, dass ich diese Reise gewagt habe.
Ich bin heute vor allem in Aragonien unterwegs. Das ist eine sehr dünn besiedelte Region mit viel Bergland und Hochebenen, mit kargen Steppen und grünen Wiesen. Ich bewege mich eigentlich durchgehend auf über 1000 Meter Höhe. Der höchste Pass heute hat 1790 Meter. Deutschlands höchster Pass hat übrigens 1420 Meter.
Außerdem gibt’s in Aragonien ein „Motorland“, zumindest ist es ausgeschildert. Klingt interessant, da fahre ich doch mal hin, auch wenn ich eigentlich gerade schon wieder auf dem Weg zur Tankstelle bin, denn in einer so dünn besiedelten Region ist es sinnvoll, mit der Tankstellensuche nicht zu warten, bis die Reservelampe blinkt. Am Kreisverkehr nehme ich die erste Ausfahrt laut Wegweiser „Motorland“ und Navi (Tankstelle) – das trifft sich gut, an der nächsten Ausfahrt steht finster guckende Polizei. Die haben mich vorhin auf der Autobahn zwar auch nicht beachtet, aber da war ich ja im fließenden Verkehr und nicht ein einsamer Mohikaner. Merke, hier später nicht entlang fahren.
An der Tankstelle wird die MT-09 vom Personal betankt, und dabei auch gleich mit Benzin geduscht – okay? Hat das nicht Zeit bis zur Rückreise, im Moment brauche ich sie noch
Ich gucke mal im Handy nach was Motorland eigentlich ist und wo das ist: Es ist die MotoGP-Strecke des Aragon GP. Aah. Es ist 20 km in die falsche Richtung. Oh. Nö! Dann lieber auf die N-420 (heißt wirklich so), aber nicht am Kreisverkehr vorbei, und auf zu frischen Pässen.
Es ist wirklich beeindruckend einsam hier und die Landschaft wechselt immer wieder. Hier könnte man sicher eine Woche fahren, ohne sich zu langweilen. Aragonien hätte mehr als 1 Reisetag und 8 Passknackerpunkte verdient.
Vom letzten Passknackerpunkt geht’s dann auch schnellstem Weg Richtung Süden, Valencia wäre das Traumziel, aber 200 km sind mir jetzt zu viel. Das Navi sagt am Passknackerpunkt, in 35 km links abbiegen, das klingt nach einer öden Bundesstraße. Ich hätte nicht falscher liegen können! Es ist alles dabei, In Schwarzwaldhöhenstraße-Radien den Berg entlang, in 4. Gang-Kurven durch eine Schlucht, oder auch mal 2. Gang kurvig durch den Wald. Einfach Wow.
Irgendwann ist die Autobahn nach Valencia dann doch erreicht und ich eiere mit Tempomat bis 16:30, bis ich ein Hotel suchen will. Mir fällt auf, dass ich das einzige Motorrad weit und breit bin, und überhaupt so ziemlich das einzige Privatfahrzeug. An einer Auffahrt sehe ich Motorradpolizei stehen, und sie sehen mich auch. Sie kontrollieren gerade einen Lieferwagen, und einer davon guckt unerfreulich interessiert. Ich erwäge das Aktiveren des Hebels am rechten Lenkerende, der mit der Funktion „Ist mir egal was hinter mir ist!“, aber der Kollege hat eine Varadero – auch nicht viel langsamer, aber viel größerer Tank, denn ich bin schon wieder auf dem Weg zur nächsten, na, Sie wissen schon. Ist ja erst das vierte Mal heute.
Die letzten Tage habe ich über Booking ein Hotel gebucht. Heute gucke ich einfach mal, was da in Frage kommt, und fahre einfach hin. Das wäre heute ein Campingplatz mit Bungalows, und Restaurant am Platz. Das trifft sich gut, der Magen fordert schon eine Weile sein Recht ein. Vor Ort ist der Preis fürs Bungalow noch günstiger als bei Booking, aber das Restaurant ist geschlossen und auch sonst alles im Ort zu. Es gibt aber einen Minimarkt am Campingplatz. Okay, eine Packung Salami und eine Packung Pringels, dazu eine Dose Radler und noch 2 von den Schokobrötchen auf dem französischen Netto. Mahlzeit!
Das Bungalow ist in Ordnung, wie man es halt erwarten kann auf einem Campingplatz. Man kann es im Gegensatz zu Hotelzimmern quer lüften und die Klima/Heizung tut, was sie soll. Die Dusche gibt Rätsel auf. Ich habe kein Handtuch dabei, bekomme aber eins an der Rezeption. Ich sehe ich hier nur spanische Nummernschilder. Es ist Leben am Platz, lokaler Tourismus läuft anscheinend hier in der Region Valencia. Ich bin der einzige Deutsche aufm Platz. Ja, richtig gelesen, keine Holländer!
Als ich mich auf meiner Terrasse übers Abendessen hermache erhalte ich bald Gesellschaft einer jungen Dame, die sich auffällig unauffällig verhält. Sie sagt kein Wort, aber intensiver Blickkontakt und Körpersprache sprechen für sich. Sie reibt ihr Gesäß an der Latte meines Terrassenzauns, sucht immer wieder Blickkontakt, und hält dabei sogar den Corona-Abstand ein. Anscheinend glaubt sie, dass sie von mir etwas bekommen kann. Das ist ja so eine Sache mit dem Wohlstandsgefälle. Natürlich könnte ich leicht zugreifen, wirtschaftlich würde es mir wenig bedeuten und ihr viel, zumindest kurzfristig. Aber damit wird man seiner Verantwortung nicht gerecht. Menschlich nicht, und in Corona-Zeiten, wo viele unschuldig in wirtschaftliche Not geraten sind, erst recht nicht. Also sorry, Kitty, du wirst dir heute einen Anderen suchen müssen.
Heute war ich erst 17:30 am Ziel. Ich schreibe eine halbe Überstunde auf.
Zielerreichung:
6,8% von 295 spanischen Passknackern geschafft
Etwa 5 geplante Tagestouren an 4 Tagen gefahren
Etwa 65% Hinterreifen übrig