14.4. Alicante, Kastilien?
Die Nacht warm aber nicht so ganz erholsam, weil die Heizungsklimaanlage sporadisch anspringt und ich immer wieder denke, hier rauscht gleich ein Zug durch. In einem Bungalow hat man mehrere Zimmer und reichlich Gelegenheit, sich auszubreiten. Also hat man auch reichlich Mühe, am nächsten Morgen alles wieder einzusammeln. An der Rezeption des Campingplatzes ist niemand da, aber ein Handwerker möchte mich hinhalten und telefoniert hier und da. Ich habe gestern schon bezahlt, lege meinen Schlüssel vor der Tür ab, und gehe meiner Wege. Um 10 Uhr biege ich auf die Landstraße ein. Oho, eine Stunde später als üblich, da habe ich halbe Überstunde von gestern ja mehr als kompensiert.
Pflichtprogramm sind heute gerade mal 3 Passknackerpunkte bei Alicante. Davon und danach habe ich lange Transferetappen. Dann kommt eine andere Region mit 6 Passknackerpunkten, was für heute eigentlich zuviel wird. Das Wetter ist wieder 10-15°, meist bewölkt, aber kein Regen. Für morgen ist allerdings schlechtes Wetter angesagt, mit 36 mm Niederschlag in manchen Orten entlang meiner Route. Da ist es schon fraglich, ob die Bergstrecken überhaupt noch passierbar sein werden, daher möchte ich heute mehr schaffen, damit ich morgen gut Gewissens abbrechen kann.
Eigentlich wollte ich heute den Karl treffen. Karl ist ein alter Versysfahrer und surfender Rentner, der sich mit den Wohnmobil viel in Spanien rumtreibt. Mittlerweile mit Huski 701 SM. So auch zum Beginn meiner Reise. Allerdings ist er wegen Wetter und plötzlich eingetretenem Enkelkind schon auf der Rückreise, als ich ihn heute morgen anrufe. Schade für mich.
Vom Campingplatz geht es schnell zur Autobahn und dann an Valencia vorbei. Hier zur Abwechslung mal reichlich Verkehr und ich komme mir weniger illegal vor. Allerdings zieht sich der Weg zu den 3 Passknackern bei Alicante 2 Stunden hin, neben Schmerzen in der rechten Hand tut heute auch die rechte Schulter weh. Umso größer ist die Erlösung, als es dann so weit ist.
Kleine Pause am Wegesrand 

Den ersten Pass hoch geht's auf einer Strecke im Zustand 3. Es ist wieder komplett einsam. Ich fahre an einem Abzweig vorbei, dessen Oberfläche in erbärmlichen Zustand ist, und denke mir noch, gut dass ich da nicht rein muss. Ist die Strecke überhaupt aufm Navi? Ja, ist sie, und zwar orange - ich muss da später rein fahren
Uff, naja, erst mal zum Passschild, Foto eintüten. 100 Meter weiter sehe ich ein Tor, Wachhaus und Sicherheitszaun. Ich bin ja schon wieder weg, ich bin gar nicht da, keiner hat mich gesehen. Gut wenn man keine Aprilia Donnerschlagkrach 3000 fährt. Es geht zurück, zur Holperstrecke, und dann holpere ich da mal schön entlang. Holper, holper. Langweilig, nervig, holper, immerhin habe ich Musik. Mit Aussicht ist auch nicht viel. Dann komme ich eine größere Lichtung, da steht ein anderer Motorradfahrer - der erste heute - und grüßt. Da grüßt man zurück und biegt rechts ab wie vorgesehen. Dann freut man sich über die tolle Hauptstrecke mit super, spannenden Radien usw. und wundert sich erst nach einigen Minuten des Austobens, warum das Navi irgendwo weiter hinten wenden will. Weil ich vorhin angeblich nicht links abbiegen dürften hätte. Oh nein, ich muss den ganzen schönen Weg wieder zurück! Mir bleibt nichts erspart. Aber für euch, meine treuen Leser, nehme ich auch dieses Opfer in Kauf. Der Passknackerpunkt ist dann tatsächlich in Sichtweite der Kreuzung
Immerhin geben die Punkte bisher keine Rätsel auf, es stehen immer ordentliche Passschilder da.
Den Weg zum nächsten Punkt schaue ich mir genauer an und beschließe, nicht mehr in Winzfurzstrecken reinzufahre. Außenrum macht mehr Spaß und geht vermutlich fast genauso schnell. Wenn man schon 80% des Tages Überführungsstrecke macht, soll der Rest wenigstens Spaß machen. Und so kommt es dann auch. Der Puerto de la Carrasqueta ist zwar nur 1020 Meter hoch, wäre aber auch in den Dolomiten eher oben in der Spaßwertung. An der Passhöhe raste ich und pfeife mir das Mittagessen rein. Ich bin allein hier, bis auf zwei Katzen, die am Gebüsch kuschelnd dem Wind trotzen. Es gibt auf dieser Reise bisher mehr wilde Katzen als wilde Hunde.

Und dann folgt wieder Überführung. Damit es nicht nur Autobahn ist, klatsche ich einen Wegpunkt nach Yecla - außerdem ist das der schnellste Weg laut Google Maps. So spare ich mir Autobahn und komme super voran. Die drei Ortsdurchfahrten eignen sich gut zum tanken, denn wir haben 15 Uhr, wenn ich da nicht schon 2x getankt habe, bin ich liegengeblieben oder verunfallt. Elche de la Sierra heißt ein wichtiger Ort in der zweiten Zielregion heute. Hier sind 6 Passknackerpunkte so verteilt, dass man sie unmöglich in einer sinnvollen Reihenfolge abfahren kann. Ich frage mich, ob ich es heute noch angehen will, oder lieber erst morgen? Ich denke, da geht heute noch was. Vielleicht nicht bis zum Ende. Es ist zwar sehr entlegen hier, aber vielleicht gibt es ja irgendwo ein Dorfhotel.
Wie gesagt, es gibt keine sinnvolle Reihenfolge, aber die Reihenfolge meiner Planung, bzw. was mein Navi draus macht, ist sicherlich weiter von einer sinnvollen Reihenfolge entfernt als andere Möglichkeiten. So fahre ich 3 km durch den Ort Riopar und stelle fest, dass später nochmal hier durch muss, und zwar in der gleichen Richtung. Dass kann eigentlich nicht richtig sein. Aber der Ort ist interessant, Hotels, Supermarkt, Tankstelle - vielleicht übernachte ich hier später. Jetzt optimiere ich erst mal die Reihenfolge der Pässe am Navi.
Die Strecken beginnen vielversprechend. Hier kommt richtig Fahrspaß auf! Tolle Trassierung und viel Abwechslung. Der Straßenbelag ist nicht immer super, aber die MT-09 bügelt auch mit Serienfahrwerk viel glatt. Besonders die Gabel zeigt sich auch vom Bauwurzelaufbrüchen unbeeindruckt.

Vom Puerto de la Crucetas finde ich zunächst zum Purto El Bellotar will mich das Navi in einen wilden Schotterweg schicken. Das spinnt wohl. Da fahre ich schön weiter Hauptweg. Stattdessen schickt es mich im nächsten Dorf auf eine Nebenstrecke, die sehr fragwürdig aussieht. Ich gucke es mir am Navi an und stelle fest, dass das wohl leider Sinn ergibt. Aber es ist nicht steil und außer dicke Schlaglöcher ist hier nichts gefährlich. Das geht 8 lange Kilometer so. Bei einer Kreuzung ist Zeit für eine Pause, innere Einkehr, Snack, Stoffwechsel und Navischimpfe. Laut OSM hätte man da einwandfrei außenrum fahren können, aber jetzt es auch nicht mehr schlimm, weiter zu fahren. Es wird immerhin nicht schlimmer und steiler. Nur begegnet ich niemandem, habe kein Handynetz und die Häuser sind auch alle Ruinen. Wenn hier was schief geht kann man sich eigentlich nur noch 'ne Hütte bauen und ein paar von den Rehen jagen, die ich so rumspringen sehe.


Aber auch diese Prüfung wird gemeistert, und freundlicherweise steht nicht am Ende von 20 km Schotter ein geschlossenes Tor. Jetzt wieder schön auf Asphalt schwingen - halt? Noch mehr Rehe? Das sind viele Rehe heute. Es ist zwar schon 17 Uhr, aber es ist ja noch lange hell? Okay, ich bin hier am Ende der Welt, da kommt nicht jede Stunde ein Fahrzeug entlang. Am nächsten Pass suche ich mir ein Hotel. In Riopar sind wirklich viele. Genau gegenüber von der Tankstelle, 25 Euro laut Google. Na, warum nicht, im Restaurant dort habe ich auch schon Leute gesehen. Ich fahre hin, am Ortseingang steht die Polizei
Sie ist aber gerade mein einem anderen Auto beschäftigt
Ich checke im Hotel ein, ohne Sprache, mit Händen und Füßen, 22 Euro. Passt! Frisch im Zimmer angekommen denke ich, hm, war's das jetzt echt schon für heute? Da sind noch zwei Pässe weiter nördlich. Das sind nur 30 km eine Strecke? Das schaffe ich noch! Wie schwer kann es sein?
So schwer:

Dazu noch 10x Wildwechsel. Ich fahre Tempo 50. 20 km von den 30 km sind üble Bröckelpiste mit Kies drauf und potentiell felgenmordernden Schlaglöchern. Endlich am Ziel:

Gibt's zurück einen anderen Weg? Ja, sogar zwei - 54 und 58 km, Zustand unbekannt. Okay, die 30 km habe ich einmal geschafft, die schaffe ich auch ein zweites Mal. Wieder 10x Wildwechsel. Ich fahre weiterhin Tempo 50. 19:00 bin ich runter von der Nebenstrecke und kann mich auf der Hauptstrecke kurz austoben, bevor die Besorgungen losgehen: Supermarkt (zum Abendbrot Salami und fertige Crepes, einzeln verpackt), Geldautomat, Tankstelle, und Hotel. Der Einfachheit halber fahre ich direkt mit FFP2-Maske unterm Helm. Das geht gut ohne Brille. Die Polizei kommt mir im Ort entgegen aber beachtet mich nicht.
Das war als Fahrtag heute eher durchwachsen, aber ich habe meine Ziele erreicht und bin froh drüber. Merke: Nicht in Kleinstrecken reinfahren. Und mit den Lieferanten des Kartenmaterials schimpfen, ich habe "unbefestigte Strecken vermeiden" aktiviert. Heute habe ich mich streckenweise gefragt, warum ich nicht die Versys genommen habe - Windschutz, Reichweite, Federwege. Die Antwort auf die Frage liefert hoffentlich Andalusien, vielleicht schon übermorgen 
Zielerreichung:
9,8% von 295 spanischen Passknackern geschafft
Etwa 6 geplante Tagestouren an 5 Tagen gefahren
2/2 Rückspiegeln übrig