Mo 12.4. Katalonien
Die Nacht war kalt, aber erholsam. Spätabends standen lange Polizei und ein Abschlepper vorm Hotel, und ich habe mich gefragt warum, aber mein Motorrad war noch. Auch der Kleinwagen mit deutschen Nummernschild ist noch da. In meinem Zimmerpreis ist Frühstück mit dabei, also nehme ich das auch mit. Es ist ein Buffet, und es wird in einem geschlossenen Raum gegessen. Okay, aber ohne mich. Ich bediene mich mit Einweghandschuhen am Buffet (hat sich mal jemand gefragt, ob die Zangen zum Brötchen greifen noch Sinn machen?), staple meinen Teller voll und gehe zurück aufs Zimmer. Ja, so ein Frühstück ist doch ganz nett. Draußen ist es kalt und grau, da habe ich es nicht wirklich eilig, loszukommen.
Gegen 9 Uhr ist es dann soweit, ich trete an zum Dienst
Direkt 200 Meter vom Hotel bekomme ich das erste Beispiel für den normalen Wahnsinn namens spanischer Straßenverkehr. Schrottiger Lieferwagen und SUV deutscher Marke streiten sich um einen Spurwechsel. Das kann schon mal 1 km dauern. Verglichen mit Frankreich halten sich mehr Leute gar nicht an Regeln, quer durch alle Gruppen. Sogar Omas humpeln bei rot über die Ampel an der Hauptstraße. Aufmerksamkeit tut Not. Dafür wird es einem aber auch nicht nachgetragen, wenn man sich mal etwas erlaubt. Wie ein wartendes Motorrad aussieht, wissen viele Spanier wahrscheinlich gar nicht.
Es beginnt mit einer Überführungsetappe, heute früh nur 50 km, und über Bundesstraßen. Dann kommen 8 Passknackerpunkte in den südlichsten Pyrenäen-Ausläufern, die bei der späteren Pyrenäentour mehr Umweg wären als heute. Danach 4 Punkte in einem kleinen Mittelgebirge weiter im Süden, und dann schließlich ein langer Transfer Richtung Zaragoza.
Ich habe heute wieder alle regulären Motorradklamotten an, denn es ist mit 11 Grad nicht warm, und auch Schauer sind möglich. Leider sind die Handschuhe noch nass von gestern. Außerdem hängen die Wolken in den Bergen. Und ich fahre in die Berge. Zunächst aber macht Motorradfahren in Spanien echt Spaß, besonders auf einsamen Straßen, mit vollem Tank und vollem Magen, denn mit vollem Magen friere ich nicht. Grund dazu gäbe es, denn das Thermometer sinkt je 100 Höhenmeter um 1 Grad. Zum ersten Punkt hin verfolge ich einen ambitioniert bewegten modernen SUV von einem Handynetzbetreiber. Logo, die haben ja Antennen oben auf den Bergen. Wenn ihr also beruflich Bergstrecken fahren wollt, haltet euch ran
Ich bin ganz froh, hinter ihm zu sein, denn wenn er mir entgegen käme, wäre das vermutlich 'ne knappe Sache. Der erste Punkt ist eine Sackgasse mit Antennenanlagen hoch oben, fast schon über den Wolken, aber leider mittendrin. Und ein paar 100 Meter mit Rollsplit sind auch dabei, freundlicherweise aber ankündigt. Wenn man bei 3 Grad da nicht mehr runter fahren möchte, kann man sich anscheinend auch runter stürzen.

Wieder runter kann dann aber mal richtig Motorrad fahren und fröhlich Kurvenstrecken wegschnupfen. Bald muss ich nach einem Punkt umdrehen und ein Stück zurück, um einen zweiten Punkt zu erreichen. Da wird die Straße unbefestigt. Äh. Erdboden mit sehr wenigen Steinchen drauf. Alles ganz schön feucht. Das mag ich aber nicht. Mein vorderer Pilot Power auch nicht, und protestiert mit seitlichem versetzen bei Schrittgeschwindigkeit. 300 Meter weiter wird's wieder befestigt. Dann wieder unbefestigt. Bis zum Punkt sind es noch 4 km. Hmm. Bis jetzt geht's noch, aber die Yamaha hat keinerlei Schutz nach unten, und erfahrungsgemäß werden solche Strecken weiter oben und weiter von der Hauptstrecke weg nur noch schlechter. Taktische Nachguckpause.

Der Punkt ist vom Typ XXX und gehört damit nicht zur Landeswertung, weil er schwer zu befahren ist. Das sehe ich auch so und werfe ihn aus der Route. Den hätte ich eigentlich gar nicht reinplanen sollen. Darauf muss ich künftig mehr achten. Gut, dann eben zurück und außenrum. Aber vorher noch kurz pinkeln, hier kommt ja niemand vorbei? Natürlich kommt sofort doch jemand vorbei. In Italien brechen auf solchen Strecken zuverlässig Panda 4x4 geräuschlos aus dem Gebüsch, in Spanien ist es eher gleichalte japanische Hardware. Immerhin keine Schulklasse auf Wandertag. Wenden klappt, und weiter geht's, und damit die Kurvenstrecke von vorhin das dritte Mal hoch. Mir bleibt aber auch nichts erspart 
Auch kein Gegenverkehr. Mir kommt eine kurvenschneidende BMW RT entgegen, Fahrer in albernen Neonklamotten. Und er führt eine Gruppe an. Alle auf BMW RT, alle auf dem Mittelstreifen unterwegs. Was'n da los - Clubausfahrt? Und warum tragen die alle die gleichen Klamotten - Touratech Luxustour? Und warum haben die Blaulicht an? Ah, achso. Anscheinend ein sehr eiliger Polizeieinsatz, hier am Montagvormittag in den Bergen, dass da 10 Polizeimotorräder anrücken müssen. Gut, dass ich nicht gegrüßt habe. Ich weiß nicht was sie hier machen, aber sie wissen auch nicht, was ich hier mache. Außerdem würde ich es an ihrer Stelle vermutlich ebenso machen. Wie auch immer, ich will mich damit nicht beschäftigen (aktiv/passiv) und fahre einfach weiter, gucke aber gelegentlich in den Spiegel. An wievielen Kreuzungen muss ich vorbei fahren, dass 10 Motorräder nicht alle Wege abklappern können? Ich traue mir viel zu, aber einem Motorradpolizisten davonzufahren kann ich mir abschminken. Es kommt aber nichts und niemand, und ich fahre entspannt weiter meiner Wege. Z.B. zu diesem "Santuari" (große Kirchenanlage oben auf Berg).

Passend zum obigem Anlass möchte ich noch anmerken dass ich auf dieser Reise statt von Rammstein jetzt von Body Count musikalisch unterstützt werde. Bei Rammstein geht's um Ablehnung der Kirche, um Sex, Gewalt, Fetische und Gewalt-Fetisch-Sex, bei Body Count dagegen um Ablehnung der Polizei, um Sex, Gewalt, Voodoo und Gewalt-Voodoo-Sex. Man ist ja vielseitig kulturell interessiert. Jetzt geht's aber ins nächste Tal, die Sonne kommt raus, es wird warm. Auch die Landschaft wird motorradbefahrfreundlich.

Nach dem Coll de Bac ist 40 km Überführung nach Süden angesagt, aber freundlicherweise ohne Ortsdurchfahrten. Am Coll de Ravell ist das Fotomotiv eine Tankstelle, die direkt an einer Autobahnausfahrt liegt. Ich hätte mir denken können, dass der Tankwart nervös wird, wenn man da mit laufendem Motor absteigt ohne zu tanken, aber ich komme ohne Einschusslöcher davon. Interessanter ist das Wetter, denn jetzt wird's über 1000 Meter hoch und ich fahre wieder in den Wolken rum.

Die Temperaturen sind einstellig und gehen bis auf 3 Grad runter. Den Abzweig zum Turó de L'Home verpasse ich zunächst und muss auf einer schmalen Straße wenden - genau dann kommt eine Teenagerin des Weges, schwarze Klamotten, am rechten Straßenrand laufend. Die wird sich wohl wundern, was ich hier am AdW von ihr will, aber ich komme ohne ihre Telefonnummer davon.
Die Stichstraße zum Turó de L'Home ist in schlechtem Zustand, und wenn ausgerechnet ich das sage, dann ist es auch wirklich so. Man muss auf der 6 Meter breiten Straße eine Spur suchen, die man befahren kann, und Tempo 30 wäre zuviel.

Freundlicherweise geht alle 3 Minuten für 1 Minute das Licht an, weil die Wolken erste Lücken zeigen. Erst ganz oben, 1666 Meter, ist es dann wirklich so weit und die Sonne wärmt. Zeit für eine Pause. Schokoriegel rein, ich will nicht mehr frieren. Dann eiere ich den Berg wieder runter, die Hände tun inzwischen weh. Zum nächsten Tal hin wird es endlich wieder heller.

Mit jedem Höhenmeter runter wird es wärmer. In einer Ortsdurchfahrt raste ich 20 Minuten, nur um mich aufzuwärmen. Schokoriegel hilft wieder. Vom letzten Pass heute zum nächsten Pass morgen sind es 360 km, die ich mir zwischen heute und morgen einteilen kann. Alles heute wäre mir zuviel, ich habe ja schon 250 km in den Knochen und auch Schmerzen in den Händen, die sich nicht so gut ignorieren lassen wie die im Gesäß. Zwei Stunden sollten aber noch gehen, die meisten davon mit "Tempomat". Also suche ich mir ein Hotel auf dem Weg, gerne außerhalb der Stadt, und gerne einfacher als gestern, denn 20x übernachten zu 50 Euro läppert sich doch gewaltig. 10000 km Motorradfahren ist schon teuer genug... nämlich bisher 33 ct pro km mit und 20 ct pro km ohne "eh da"-Kosten (Steuer, Versicherung, TÜV, Zubehör, Umbauten usw.) bei meiner MT-09.
So, die Überführung darf dann auch gern mautfrei sein, sind nur 10 Minuten Unterschied, und habe ich es gar nicht mehr eilig. Teilweise Autobahn, teilweise Bundesstraße. Es wird warm. Hier blüht auch schon der Raps 

Es zieht sich dann doch ziemlich. 17 Uhr erreiche ich das Hotel. 8h gefahren, Pflicht getan. Abrödeln, einchecken, ausziehen, Lage peilen: Hunger. Habe vorhin einen KFC gesehen. Motorrad dreckig. Kann man bestimmt waschen. Regenradar? Die nächsten 2 Tage trocken, Donnerstag wohl viel Regen. Okay, den einen Euro kann man investieren. Google Maps, leite mich! Motorradwäsche klappt, beim KFC sind die Produkte andere als daheim und man spricht kein englisch. Ich aber leider auch noch immer nicht spanisch. Ich hätte mir vor Reise wenigstens Phrasen merken/Aufschreiben können, aber da wusste ich ja noch nicht, ob ich es hierher überhaupt schaffe. Statt 2x Classic Burger gibt's für mich also 1x Classic Burger und 1x BBQ Burger. Der BBQ Burger hätte ruhig noch mehr Hitze vertragen, der Classic Burger ist ungefähr der Zinger Burger, den ich eigentlich wollte. Essen nur zum Mitnehmen oder Lieferdienst, wie daheim, unterwegs schienen aber viele Restaurants ihre Außenbereiche geöffnet zu haben. Vom angeblichen Mega-Lockdown merkt man in den Städten nichts und es waren auch keinerlei Behörden zu sehen, außer auf ihrer Motorradtour.
Ich habe auch heute wieder keinen Stress und keine Problem gehabt, und dafür bin ich sehr dankbar. Schalten Sie auch morgen wieder ein, wenn es wieder heißt: "Kommt blahwas endlich in den Knast, oder auf den Passknackerolymp, oder irgendwas dazwischen?" 
Zielerreichung:
4,1% von 295 spanischen Passknackern geschafft
Etwa 4 geplante Tagestouren an 3 Tagen gefahren
11 von 12 GB Datenvolumen übrig