Mo 7.3.22 Anreise abreißen
Der Tag begann etwas holprig. Mein Magen mag Zwiebeln und Alkohol nicht so recht. Meine Muskulatur ist unzufrieden mit der Gesamtsituation. Daheim mache ich täglich 20-30 Minuten Gymnastik. Dafür war ich auf der Reise bisher zu faul. Früher habe ich auf Reisen vorsorglich täglich Magnesium genommen, aber dieses Mal habe ich das irgendwie vergessen. Und jetzt leide ich. Mimimi, hilft ja nix, aufstehen, Laptop raus, Gymnastik nachturnen. Die Rückenstrecker sind deutlich zäher als sonst. Merken, damit sorgfältiger umgehen, und Magnesium auftreiben. Wo ist eigentlich der nächste Supermarkt? Laut Google Maps wohne ich genau über einem. Okay, dann warte ich auf 9 Uhr, bis er öffnet, suche Magnesium und kaufe dort gleich noch das Frühstück. Ich verpasse nichts, denn draußen ist es eher trüb.

Bis 9 Uhr kann ich ja schon mal alles abfahrbereit einpacken. Um 9 Uhr gehe ich in den Supermarkt, finde kein Magnesium, aber Frühstück: Schokoröllchen. Das verzehre ich im Zimmer, gehe dann in die Tiefgarage, will die Yamaha satteln... aber das grüne Licht am Heizgriffschalter leuchtet. Oha! Entweder war jemand so freundlich, das gerade erst eingeschaltet zu haben, oder ich habe es gestern abends nicht ausgeschaltet und mir jetzt über Nacht die Batterie entleert. Zündschlüssel zeigt: Letzteres. Anschieben brauche ich auf dem glatten Boden dieser Tiefgarage nicht zu probieren, da lege ich mich nur beim Anschieben auf die Nase, oder ziehe danach mit dem Hinterreifen einen schwarzen Strich.
Also aktiviere ich als ordentlicher Deutscher der ADAC Notruf und warte 4 Stunden. Nein, den Fehler mache ich nicht. Ich frage an der Bar des Hostels ohne Spanisch, aber mit Hand und Fuß (und Google) ob er mir helfen kann, er telefoniert jemanden herbei, und 30 Minuten später klemmt der eine kofferförmige Powerbank an meine Batterie, woraufhin die Yamaha anspringt, als hätte sie nie was anderes getan. Bevor ich mich richtig bedanken kann, oder ihm etwas anbieten kann, ist er auch schon wieder weg. Muchos Gracias! Ich bin glücklich. Die Yamaha nur so halb:

Aber der Motor läuft - das reicht mir. Los geht's, insgesamt doch fast eine Stunde später als die Tage zuvor, jetzt bloß nicht abwürgen und bei Pausen lieber laufen lassen. Heute früh steht der Passknackerpunkt "Gorostieta, Alto" auf meinem Plan, der 2022 neu dazu kam. Da ich 2021 alle Punkte in Spanien gemacht habe, muss ich da natürlich hin. Wie sieht das denn sonst aus auf der "Lebenswerk"-Karte! Der Punkt ist auch der Grund für die Anreiseroute. Auf der Abreise wäre der Umweg hierher nämlich größer, und irgendwo muss ich ja entlang fahren. Weil ich eh schon hier bin und quasi auf der Zufahrt davon übernachtet habe, nehme ich auch noch den benachbarten Punkt mit dem kompakten Namen "Leurtzako urtegiak / Leurza, Embalses de" mit. Das ist ein kleiner Stausee im Wald, und zwar Sackgasse, aber man kann zwei verschiedene Wege hoch fahren, so dass ich nicht alles doppelt fahre. Die Route ist so 20 Minuten länger als ohne, aber ein bisschen Spaß muss sein.
Also los. Kaum fahre ich, geht die ABS-Lampe aus. Das ist gut. Die TCS-Lampe und die Motorkontrollleuchte bleiben an - nicht so gut. Vielleicht gibt sich das ja beim nächsten Motorstart wieder. Das probiere ich am besten bergab, vor einer Motorradwerkstatt, die gerade geöffnet hat.
Die Route den Berg hoch bin ich letztes Jahr schon gefahren, aber so recht erinnern kann ich mich nicht. Letztes Jahr war ich hier bei Regen und Nebel. Jetzt ist dagegen richtig warm, also mir zumindest, nach all der Warterei in den warmen Motorradsachen. 7 Lagen am Rumpf, 5 Lagen an den Armen und Beinen und 6 am Bobbes. Das Thermometer zeigt 7 Grad. Es sieht auch eher warm aus, mit erkennbaren Spuren von Kälte vorher:

So fahre ich die ersten zwei Punkte ohne Heizweste. Das klappt gut. Ich achte darauf, dass ich keine TCS habe, nachdem ich mich deshalb letztes Jahr auf die Nase gelegt habe. Der Weg zum zweiten Punkt hoch ist neu. Der ist durchaus schön, und vielleicht nichts besonders in Spanien, aber ich habe Spaß. Es erinnert mich daran, was da noch alles leckeres auf mich zukommt. Der Quickshifter verweigert übrigens auch den Dienst - die zugehörige Kontrollleuchte habe ich abgeklebt, denn die leuchtet normalerweise permanent grün, was mich irritiert.
Ein Passknackerfoto später kommt dann wieder: Autobahn, dann Autobahn, und danach noch etwas Autobahn. Das ist weiterhin fade, aber zumindest spannend: Wird die Maschine nach dem Tankstopp wieder anspringen? Ich komme auf die "geniale" Idee, auf einem abschüssigen Autobahnstück, vor einer Ausfahrt mit Tankstelle auszukuppeln, die Zündung auszuschalten, wieder einzuschalten und einzukuppeln. Voila, der Motor läuft sofort wieder, und die TCS-Lampe ist aus! Und auch der Quickshifter geht wieder!
Jetzt ist nur noch die Motorkontrollleuchte an. Vermutlich irgendwas im Fehlerspeicher. Da hilft später vielleicht noch ein Klebestreifen, er beruhigt sich von alleine, oder lese mal nach, wie man das zurücksetzen kann.
Beim ersten Tankstopp springt das Motorrad wieder an, und ich sitze die 500 km auf der Autobahn ab. Immerhin gibt's hier mehr Landschaft zu gucken als in Frankreich, und es geht auch über Berge und durch Tunnel. Ich eiere irgendwelchen Autos hinterher, damit ich keine groben Fehler bei der Tempowahl mache. Im Unterschied zum letzten Jahr ist viel mehr Verkehr, und es ist praktisch keine Polizei unterwegs. Letztes Jahr war mehr Behörden- als Privatverkehr auf den Fernstraßen. Beim zweiten Tankstopp mache ich etwas länger Pause und suche mir ein Hotel für die Nacht. Noch 2 Stunden fahren sollte möglich sein, das ist dann 17:15. Etwas kürzer als sonst, aber zum Abschluss des öden Teils der Reise ist das mal okay.
Meine Kettenspannung macht mir etwas Sorgen. Das merke ich am Lastwechselverhalten. Wenn der Schub verzögert und mit einem Ruck kommt, möchte die Kette gespannt werden. Leider kann man mit dem Bordwerkzeug der Yamaha nicht die Achse lösen. Interessanterweise ginge es mit dem Bordwerkzeug meiner Kawa, aber das habe ich nicht eingepackt. Die Kette zu spannen, ohne die Achse zu lösen ist zwar prinzipiell möglich, aber nur 1x - die Gewinde der Kettenspanner in der Schwinge sind dem nicht gewachsen. Also suche ich mir in der Nähe der Autobahn und der nächsten Großstadt, Salamanca, zwei Motorradwerkstätten in einem Gewerbegebiet raus und fahre da einfach mal vor. Das Gewerbegebiet ist nach deutschen Maßstäben ziemlich chaotisch. Es sind richtig viele eher kleine Unternehmen, Tür an Tür, die auch die Straße als Gewerbefläche nutzen. Ständig muss man Gabelstaplern und Arbeitern ausweichen. Werkstatt Nr. 1 hat geschlossen. Bei Werkstatt Nr. 2 stehen diverse Enduros und Quads und jemand räumt gerade dicht gedrängte 50er Roller aus einem Transporter. Da fühle ich mich richtig. Ich halte, stelle den Motor ab, gucke unschuldig und wackle an der Kette. Man steht meinem Problem mitfühlend gegenüber und 15 Minuten sowie 10 Euro später bin ich wieder unterwegs, und das auch noch mit frischem Kettenspray - von dem die Hälfte vermutlich nicht lange haften wird, zumindest nicht auf der Kette, aber was soll's.
Frisch gespannt geht's auf die letzte Etappe, von Salamanca nach Südwesten in die Sierra de Francia. Francia heißt Frankreich, und die Sierre de Francia liegt an der Grenze zu Portugal - logisch, oder so. Hier haben tüchtige Menschen über den Winter 6 neue Passknackerpunkte auf der spanischen Seite eingetragen, wo ich also noch nie war, usw siehe oben
Aus Salamanca raus wähle ich die etwas kürzere Bundesstraße. Hier geht's zwischen Wiedewiesen und anderen landwirtschaftlichen Flächen mit geringer Nutzungsintensivität - nicht zu verwechseln mit Natur ode gar Wildnis - elegant verkehrsfrei auf gutem Asphalt direkt ans Ziel, nach El Cabaco. Bald tauchen Berge in der Ferne auf, was motiviert.

Das Hostel ist über einer Bar, dort brennt Licht - gut! Die Tür ist abgeschlossen - schlecht. Es gibt eine Treppe zum Hostel hoch, wo die Tür offen ist. Ich klopfe und rufe und werde empfangen. Mit Hand und Fuß checke ich ein. Der Wirt stellt noch die Heizung ein - das ist gut. Das heißt aber, dass sie vorher komplett aus war, also ist auch alles kalt - das ist schlecht.
Abendessen werde ich mir an der Bar suchen, Frühstück habe ich noch die Reste von heute. Auch hier gibt's wieder prima WLAN
Das ist ja schließlich ein Ort mit 248 Einwohnern hier, und der einzige weit und breit. Natürlich hat man da LTE+ und 30 MBit im Hotel WLAN.
Nach den 6 spanischen Punkten morgen früh geht's nahtlos nach Portugal rein, und damit dann richtig los. Sozusagen Zeit für ein Zwischenfazit Anreise: Ja, es ist weit. Nein, das macht keinen Spaß, aber man kann es ertragen. Die ersten Schwierigkeiten hatte ich heute und konnte sie meistern. Es ist in Summe echt unangenehm kalt auf der Naked, das Windschild reicht mir ungefähr bis zum Bauchnabel, und ohne das ganze Heizgeraffel weiß ich nicht, ob ich das geschafft hätte. Vielleicht muss ich doch mal einen Transporter anschaffen. Na, mal sehen was nach der Heimreise dazu denke - dafür habe ich doppelt soviel Zeit eingeplant wie für die Anreise 

1 Panne
2 Passknacker und 557 km heute
Rangliste Platz 25 von 77
1992 km nach Hause