Dienstag, Assietta-Kammstraße
Für Sebastian und mich steht heute Schottern auf dem Programm. Die Assietta-Kammstraße bin ich noch nicht gefahren und hatte sie für diesen Urlaub ins Auge gefasst.
Fahrerisch ist die nicht sonderlich anspruchsvoll, zumal sich das erlesenste Sommer-Wetter angekündigt hat. Wir wollen den Kamm von Nord-Osten aus angehen, planen die Anfahrt daher über Briançon und Sestriere, um dann in Pourrieres zur Assietta hoch zu fahren.
Der Start führt uns wieder entlang des spektakulär türkisfarbenen Stausees Lac de Serre-Ponçon. Einfach nur schön hier.

Die Durchfahrt durch Embrum und weitere kleinere Orte ist bei den jetzt schon hohen Temperaturen etwas lästig, aber das lässt sich verkraften. Es gibt schlimmere Schicksale, als hier mit dem Motorrad Urlaub zu machen. Wir fahren entlang des Flusses Durance. Die Aussicht ist toll, die Straße eher langweilig geradeaus und wir legen eine Pause ein. Der oder die Durance ist ein etwas größerer Fluss, der von Rafting-Schlauchbooten genutzt wird, die wir in einiger Entfernung sehen können.

Wir suchen einen Weg, der uns zum Flussufer bringen soll. Der Feldweg lässt sich anfangs ganz gut fahren. Nach hundert Metern gleichen die Fahrspuren zwei kleinen Rinnsalen, was aber der Fahrbarkeit keinen Abbruch tut. Am Flussufer ist der Weg wieder trocken, Sebastian ist eine Biegung voraus, als mir blitzartig das Vorderrad wegrutscht und ich verwundert im Matsch liege. Der vermeintlich einfach zu fahrende trockene Weg ist leider in den Rinnen mit einer oberflächlich matten Schlickschicht überzogen, die etwa soviel Haftung bietet wie Glatteis. Mein Pseudo Stollenprofil ist komplett zugesetzt und hier völlig nutzlos. Ich suche einen festen Stand und richte Motorrad wieder auf. Ich fahre SEHR langsam um die nächste Biegung, als mir Sebastian zu Fuß entgegen kommt. "Du auch?" "Yep, Vorderrad is' weggerutscht." Das muss zeitlich ziemlich synchron passiert sein.


Eine kurze WhatsApp-Nachricht mit dem neuen Spielstand: Blahwas 1, Sebastian 1, Michael 1, Manuel 0(!). Blahwas antwortet umgehend mit einem aufmunternden "Weiter so!". Wir wollen nicht den gleichen Weg wieder zurück, weil dort der nächste Ausrutscher vorprogrammiert ist. Also weiter geradeaus; der Weg ist hier trotz einiger querende Wasserinnen gut zu befahren, endet jedoch unvermittelt. Also doch wieder zurück. Ich versuche so weit wie irgendmöglich auf dem mittleren Grasstück zu bleiben, was allerdings nicht überall geht. Es kam wie es kommen musste und das Moped suhlte sich wieder im Matsch. Diesmal mental vorbereitet, konnte ich zumindest dem Sturz entgehen und rettete mich auf ein Grasstück. Moped wieder in die Senkrechte und ein ermahnendes Wort sich nicht noch mal in den Matsch zu werfen. Diesmal ereichen wir unversehrt die Straße. Ich sende ein kleines Update: Blahwas 1, Sebastian 1, Michael 2, Manuel 0(!). Ich liege in Führung und habe auch nicht vor, die wieder abzugeben.
Wir machen einen kurzen Tankstopp beim nächsten CarreFour, wo neben uns ein junge französische Motorradfahrerin ihre Cross-Maschine betankt. Bei uns sieht man sowas nur noch selten. Der Altersdurchschnitt der Motorradfahrer liegt in Deutschland deutlich höher und der Coolness-Faktor erheblich niedriger. Frankreich ist Motorradland.
Einige Kilometer später passieren wir die Grenze zu Italien. Es ist mit weit über 30° schon angenehm warm, bis wir bei Claviere zwei längere Tunnel passieren, die sich wie zwei Tiefkühltruhen anfühlen, da die Temperaturen drinnen 20° unter der Außentemperatur liegen. Die Sonne danach taut uns aber binnen Sekunden wieder auf. Wir laufen auf eine Gruppe süddeutscher Endurofahrer auf, die auch artig Platz machen. Alle, bis auf den Tourguide, der überholt werden wohl nicht mag. Aber er hat auf der Geraden keine Chance und ich fahre kopfschüttelnd vorbei. Das gleiche Spiel versucht er noch mal mit Sebastian, der allerdings auf den kurzen Geraden mit der etwas geringeren Leistung nicht überholen kann. Kurzerhand überholt er ihn elegant außen in der Kurve. Was die Aktion vom Tour-Guide sollte, weiß ich nicht, die waren viel langsamer unterwegs als wir. Egal, wir erreichen Sestriere, einem weniger idyllischen Skiort, der zu dieser Jahreszeit eher einer Geisterstadt gleicht. 15 Kilometer weiter gelangen wir zur Strada dell' Assietta, die uns zum Einstieg in die Kammstarße führt.

Dort stehen wir etwas ratlos vor dem Schild, dass die Assietta Samstags und Mittwochs für Motorradfahrer sperrt. Prima, heute ist Dienstag (vorher informieren kann auch mal besser sein). Aber das zweite Schild weist den Pass als geschlossen aus. Da das Schild aber reichlich verbeult ist und wir an dessen Verbindlichkeit juristisch fundierte Zweifel haben, kommt unsere Expertise zu dem Schluss, dass das Schild maximal empfehlenden Charakter haben kann und fahren durch. Der Weg ist steil aber problemlos auch mit Straßenreifen zu schaffen. Wir sind noch nicht lange unterwegs, als ich auf einen Esel auflaufe, der mich keines Blickes würdigt und auch den Kopf nicht einen Millimeter bewegt. ich bin skeptisch hinsichtlich seiner Friedfertigkeit und fahre langsam an ihm vorbei, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Kurze Zeit danach steht Sebastian dem Esel Auge in Auge gegenüber. Ich warte, dass einer eine Waffe zieht, aber Esel sind stur und er bleibt völlig unbeeindruckt von unserern motorisierten Pferden seelenruhig stehen.




Einige Kilometer weiter legen wir eine Trink- und Fotopause ein. Während Sebastian noch fotografiert nähert sich von oben ein kleiner Laster mit einem Streckenposten, der Schäden im Weg mit Hacke und Schaufel behebt und größere Felsbrocken wegschafft. Ich schiebe mein Moped zur Seite und hoffe, dass er uns nicht wieder zurückschickt, weil der Pass gesperrt ist. Aber keine Spur; wir unterhalten uns nett mit meinen wenigen Brocken Italienisch und viel Händen und Füßen.


Nachdem uns vier Italiener auf MX-Maschinen passiert haben, machen wir uns auch wieder auf den Weg. Ich lasse es jetzt etwas schneller angehen, womit mein auf die Sitzbank geschnallter Rucksack überhaupt nicht einverstanden ist und unter lautem Protest abspringt. Das Gummiseil des Rucksacks hat sich aus der Würgeklemme berfreit und muss mit einem bereitliegendem Naturhammer und -amboss wieder befestigt werden.


Unterwegs kommen wir noch an einer kleinen Gruppe von Geländefahrzeugen aus dem Erftkreis vorbei. Die Welt ist zu klein. Na gut, zumindest Europa. Dann treffen wir auf unsere süddeutschen Motorradfreunde mit dem bockigen Touguide, die die Assieta von Süden aus angefahren sind. Wir würdigen den Tour-Guide keines Blickes, grüßen aber die anderen.


Es gibt hin und wieder kleinere Single-Trail-Abkürzungen, die eine Serpentine auf geradem Weg umgehen. Die wollen auch gefahren werden und ich gebe kräftig Gas, weil die recht steil ist und nur aus unbefestigtem Geröll besteht. Die Reifen kommen mit ihrer Traktion an ihre Grenzen, aber ich schaffe es gerade so über die Kuppe. Wenden auf dem engen Weg wäre schwierig geworden. Zwei Kurven weiter mache ich das Gleiche noch einmal, diesmal aber bergab. Der Lehmpfad wird allerdings immer tiefer und ich habe schon Bedenken, dass ich mit dem Motorrad stecken bleibe, passe aber gerade so durch. Mit der GS wäre ich an den Zylindern hängen geblieben. Wir genießen die Reststrecke bis wir oberhalb von Sestriere wieder Asphalt ereichen. Sehr ungewohnt dieser Belag!


Die Rückfahrt in Richtung Frankreich verläuft ohne besondere Ereignisse, wenn man davon absieht, dass Sebastian von einer am Wegesrand stehender Gruppe Polizisten per Trillerpfeife zu gemäßtiger Fahrweise angehalten wird. Ich habe die Gruppe nicht sehen können, weil ich gerade einen Bus überholt habe. Glücklicherweise konnten mich die Polizisten im Gegenzug auch nicht sehen. Etwas weiter hält uns ein Auto etwas auf, der zwar auf der Geraden Gas gibt, dafür aber die Kurven zuparkt. Aber die Straße wir etwas breiter und ich komme vorbei. Im selben Moment wird mir klar warum die Straße breiter wird: Der Grenzübergang nach Frankreich! Ich werfe den Anker und setzt meine unschuldigste Miene auf, die mir möglich ist. Die Grenzer schauen mich etwas düster an, lassen mich aber unbehelligt passieren.
Den Rückweg wollen wir uns mit dem Izoard und anschließend dem Col de Vars verschönern. Am Aufstieg zum Izoard nähern wir uns einer etwas unsicher wirkenden deutschen Monster-Fahrerin an, die hinter einem Fahrzeug der Gendarmerie her fährt. Sie winkt uns vorbei. Hm, hier gilt Tempo 30! Andererseits sind wir in Frankreich; es würde vermutlich verdächtiger wirken, wenn wir ohne Not einem Fahrzeug der Gendarmerie mit etwa 40 km/h folgen würden anstatt es einfach zu überholen. Sebastian scheint diese Skrupel nicht zu kennen und überholt ohne auch nur zu zögern. Ich warte kurz, wie die Gendarmen reagieren. Es scheint sie nicht zu stören, also folge ich. Oben auf dem Pass stellt sich heraus, dass Sebastian das 30er-Schild schlicht nicht gesehen hat und von erlaubten 80 Km/h ausgegangen ist. Das ist als Motorradfahrer in Frankreich im Zweifel immer die korrekte Herangehensweise.


Nach dem Col de Vars tanken wir die Maschinen für den kommenden Tag voll. Dabei ist auffällig, dass Sebastians 690 SMC mit 4,4 Litern auf 100 Kilometern gegenüber meiner 1090 R mit über 7 Litern deutlich zu wenig verbraucht. Wenn eine KTM so wenig verbraucht besteht dringender Wartungsbedarf! Ich befürchte schon einen sich ankündigenden Motorschaden, weil selbst der Ölverbrauch des Eintopfes kaum messbar ist. Da stimmt etwas ganz und gar nicht.
Nach einem Zwischenstop beim Supermarkt erreichen wir den Campingplatz. Nur drei Ausrutscher an einem Tag können sich sehen lassen. Allerdings hat sich mein Moped heftig eingesaut, was sehr standesgemäß aussieht, aber die Kette ist mit einer Schleifpaste aus Fett und Sand eingeschmiert. Daher beschließe ich, am nächsten Morgen eine Waschbox aufzusuchen, um den Verschleiß ich Grenzen zu halten. Sebastian ermahnt mich, aber nur die Kette zu reinigen, damit der verwegene Look nicht verloren geht. Da hat er natürlich absolut recht und wir überlegen, ob man das Motorrad vor der Wäsche nicht großflächig abkleben könnte, und nur die Kette freilässt. Die anstrengende Tour und die Sonne haben unseren Gehirnen offensichtlich nicht geschadet und wir entwickeln weitere kreative Strategieen zur Erhaltung des Used-Looks.
Nachtrag zur Befahrbarkeit der Assieta-Kammstraße:
Bei schönem Wetter ist die Straße mit fast jedem motorisiertem Gerät befahrbar (ich schrieb "fast"!). Ich habe auch schon eine Ducati Supersport und ein Gespann auf dem Col de Sommeiller gesehen.
Wenn ein Kleinlaster der Streckenposten durchkommt, kann's ein Motorrad erst recht. Bei Schnee oder starken Regenfällen könnte es mit Straßenreifen stellenweise schwierig werden.
Wie überall auf Schotterpisten muss man auf scharfkantige Felsen oder loses Geröll aufpassen, aber man hat immer ausreichend Platz.
Ob ich mit einer Rennsemmel oder einer sonstigen Asphalt-affinen Maschine da fahren möchte, steht auf einem ganz anderen Blatt. Ich würd's nicht tun, das wäre mir zuviel Gurkerei und ungeschützte Krümmer werden da auch nicht schöner.
Mit Federweg macht die Strecke naturgemäß viiiieeeel mehr Spaß.
Falls jemand den Vergleich hat: Der Parpaillon oder der Sommeiller sind ungleich schwieriger.