Sa 18.5. Abreise
Heute ist der Plan simpel: Nach hause fahren. Einzige Leckerlis: Ich werde unterwegs einen alten Bekannten treffen, das Wetter ist gut und die Hauptreisewelle rollt in die Gegenrichtung. Lang wird’s trotzdem. Vor dem Frühstück versuche ich mal wieder die Mautgeschichte zu klären: Ich könnte ja die Hotline anrufen. Dafür gibt es eine ganz besondere, kurze, praktische, gebührenfreie Nummer, die 803-111, kann man sich gut merken, macht Spaß. Die hat leider den Nachteil, dass man sie aus dem Ausland nicht erreichen kann. Und auch nicht mit einer ausländischen SIM-Karte, selbst wenn man die Italienische Vorwahl davor wählt. Die italienische Bandansage erklärt mir, die Nummer sei nicht bekannt. Geschäfte, die Wert auf ihre Kunden legen, geben daher normalerweise eine zusätzliche, reguläre Festnetznummer an - schließt ist die Kurze Nummer ja nur ein Alias für einen ganz normalen Telefonanschluss. Der Mautbetreiber tut das aber nicht. Naja, okay, aber ich habe tatsächlich ein Telefon auf dem Hotelzimmer! Damit kann ich die Nummer wählen, dann dauert es etwas, und dann kommt ein Besetzzeichen. Auch im zweiten Versuch. Echt praktisch, so eine Hotline.
Aber ich könnte es ja online probieren? Der Mautbetreiber hat eine umfangfreie Homepage, und für genau meinen Fall gibt es auch ein buntes und ausführliches Formular, dass ich sogar auf Deutsch ausfüllen kann! Ich habe zwar keine italienische Steuernummer, und meine deutsche Führerscheinnummer passt auch nicht ins Formular, aber hey, wer könnte auch ahnen, dass Ausländer die Autobahn benutzen wollen? Ich kann im Formular eintragen wo ich wirklich aufgefahren bin, ich kann das Formular vollständig ausfüllen und bekomme dann die Meldung, dass ich das Formular nicht absenden kann. Aber ich kann einfach direkt die 69,70 Euro bezahlen, oder eine E-Mail schreiben. Klasse! Danke für Nichts! Zur Erinnerung: Ich habe einen Telepass, der aber nur bei der Einfahrt, nicht bei der Ausfahrt erkannt wurde. Ich habe nichts falsch gemacht.
Also grummelnd Frühstück rein und rauf auf die Yamaha, wobei ich anhand von Katzenhaaren auf der Sitzbank erkennen kann, dass da jemand ein Kuschelbedürfnis hatte. Das freut mich! Rauf auf die Autobahn geht’s wesentlich direkter als gestern runter, und bald schieben sich die Alpen ins Bild. Das Etschtal entlang zu fahren ist landschaftlich schon beeindruckend. Bei Bozen sehe ich ein Schild, dass es an dieser Ausfahrt ein Büro des Mautbetreibers gibt? Hallo, da spreche ich doch mal vor. Hier spricht man ja sogar (hoffentlich) deutsch. Eine kurze und übersichtliche Ausfahrt später…
…. finde ich das Büro (oben im Bild bei der "2"), es stehen Autos davor, es brennt Licht. Ich sattle ab, nehme den Helm ab, setze ein freundliches Lächeln auf und gehe zur Tür. Und es passiert: Nichts.
Die Tür geht nicht auf. Es gibt auch keine Klingel. Natürlich, es ist ja auch Samstag! Ich kann die Mitarbeiter durchs Fenster hören und rufe rein, aber ich werde ignoriert. Dabei bleibe ich sogar höflich. Ja, echt eine tolle Sache, so ein Mautsystem. Produziert Kosten und Verwaltung und verbraucht Flächen (siehe zwei Bilder weiter oben), und am Ende wird alles für alle teurer und nerviger. Nur ein Betreiber schwimmt danach im Geld, bzw. seine Führungsetage. Schönen Gruß an die „Wirtschaftsweisen“, die das gerade in Deutschland vorgeschlagen haben. Bitte nicht weitersagen, aber es gibt bereits eine entfernungsabhängige Abgabe, die schwere, leistungsstarke, und ineffiziente Fahrzeuge besonders belastet, nennt sich Mineralölsteuer. Jedenfalls fällt’s mir gerade richtig schwer, gute Laune zu haben, und so verfahre ich mich beim Weg zurück auf die Autobahn (siehe zwei Bilder weiter oben), treffe aber doch beim verabredeten Treffpunkt ein. Mein Kontakt ist schon da.
Experten des Versysforums wissen Bescheid: ich treffe Ander, einheimischer Südtiroler, Alltags-Versysfahrer und Erfinder des Höhentreffens. Wir unterhalten uns nett, ich ziehe mein Mittagessen vor. Ich spreche auch das Maut-Thema an, er hat selbst keinen Telepass und nicht so wirklich Erfahrung damit, weil er meistens in der Region unterwegs ist und wenig Autobahnen benutzt. Er bietet mir noch an, diese Zauber-Rufnummer anzurufen. Darauf komme ich gern zurück. Ander fährt übrigens auch Dunlop Mutant. Mein Hinterreifen hat weiter exakt 1,60000 mm, aber ich würde damit nicht zum TÜV fahren. Aber dann muss ich auch weiter, es sind noch 450 km zur heimischen Garage, von dort noch 20 Minuten zu meiner Wohnung, und ich sollte vor 20 Uhr noch in einem Supermarkt vorbei schauen, um übers Sonntag und den Feiertag nicht Hunger leiden zu müssen. Also habe ich ein Mautticket für Österreich gekauft, das geht inzwischen auch für Privatleute am gleichen Tag, und es gibt jetzt auch ein 1-Tages-Ticket für 3,40, das passt. Dafür kommt man in Italien 1-2 Ausfahrten weit. Der Brenner kostet natürlich extra, aber hey. Tank voll, wenn ich schonmal runter von der Autobahn bin, dann wieder rauf auf die Autostrada und mit maximalem Mauteinsatz ereignislos bis Innsbruck, wobei es ab Landesgrenze schlagartig deutlich kälter wird. Dort kann man sich entscheiden:
Von Bozen nach Nürnberg schlagen die meisten Navi den Weg über Kufstein vor (Autobahn, 452 km, 4:40) oder über Scharnitz (Bundesstraße, 433 km, 4:55). Ich gähne bereits intensiv auf der Autobahn, ich brauche Abwechslung. Es gibt aber auch noch den Achenpass (434 km, 5:23, 1 Passknacker), und letzteren wähle ich, weil ich dann immer noch 17 Uhr zu Hause sein kann, was mir reicht. Die Strecke ist gut ausgebaut. Ich laufe auf 2 Motorradfahrer auf, bekofferte BMWs, die auf einen Bus auflaufen. Der Bus wird planlos und unter Lebensgefahr überholt, ich folge in sicherem Abstand, und 3 Minuten später fällt ihnen ein, dass sie eigentlich lieber 10 km/h unter Tempolimit fahren wollen, so dass mir jetzt der Bus im Nacken sitzt, dessen Fahrer wenig Verständnis dafür aufbringt. SEUFZ. Ich auch nicht. Ich habe leider nicht die Zeit, mich diesem Idiotengespann per ausgiebiger Pause zu entziehen, also muss ich jetzt 2 erratische Motorradfahrer überholen, die sich anscheinend auch miteinander nicht grün sind. Dann habe ich viel freie Fahrt, in Gegenrichtung sieht’s schon anders aus. Am Achensee hat man eine tolle Aussicht, kann ich empfehlen, aber anhalten will ich nicht. Ein Foto gibt’s also erst wieder am Achenpass selbst, wo es keine Aussicht gibt. Und die Fotogelegenheit ist auch nicht die sicherste.
Hier gibt’s noch eine Stoffwechselpause und dann geht’s weiter. So schnell man von der Autobahn in Österreich zum Achenpass kommt, so lang und nervig ist der Weg zur Autobahn in Deutschland. Ortsdurchfahrten, Ampeln, am Tegernsee immerhin was zu gucken. In Gegenrichtig ist viel Betrieb. Autos, Camper, Motorräder, nahezu geschlossene Kolonne. Ein paar Motorradfahrer versuchen, sich vor zu arbeiten. Ich bin einigermaßen entsetzt, als ich eine Goldwing wahrnehme, deren Fahrer es für eine gute Idee hält, eine Tempo 60 fahren Autokolonne mit sich links auf dem Mittelstreifen dran vorbei quetschenden Motorrädern als ganzes zu überholen. In einer lang gezogenen Rechtskurve (führ ihn). Mit anderen Worten, der nutzt dann halt mal meine Spur. Entweder hat er mich nicht gesehen, falsch eingeschätzt, oder er denkt, der wird schon Platz machen. Wie auch immer: FUCK YOU! Wir sind hier nicht auf der Rennstrecke, ich kann nicht jedem einzelnen Verkehrsteilnehmer im Gegenverkehr in den Kopf gucken und überlegen, welcher davon jetzt als erstes auf die Idee kommt, mich in Lebensgefahr zu bringen, weil er in einer Autokolonne unbedingt 2 Autos weiter vorne sein möchte. Dabei winkt er mir noch doof zu. Ich fahre, weil’s für mich eine leichte Linkskurve ist, bereits rechts in meiner Spur und muss kaum ausweichen. Ich hätte wohl auch nicht schnell genug reagiert, denn ich bin im "geradeaus fahren und Reifen schonen"-Modus, nicht im Kurvenstrecken-Nahkampf-Ninja-Modus. Die nächsten Minuten habe ich aber Gewaltfantasien. Der zweite lebensgefährliche Vollidiot dieses Jahr, dabei bin ich gerade mal 25 Tage insgesamt unterwegs. Die letzten Jahre hatte ich im Schnitt 0-2 solche Ereignisse auf 70-120 Fahrtagen, und das waren häufiger Autos als Motorräder.
Naja, hilft jetzt nix, heute fahre ich einfach nach Hause, und wenn ich jetzt volltanke, schaffe ich es bis nach Hause und muss nicht an der Autobahn tanken, also rein damit. Endlich wieder einrastende Zapfpistolen, und den billigsten Sprit der Reise (ich habe nicht in Österreich getankt). Die deutsche Autobahn ist bald erreicht und weil wenig los ist, fließt der Verkehr, und 17 Uhr kann ich heimatnah volltanken.
Ich habe bisher auf der Reise keinen km-Stand notiert, heute die 63934 macht 6280 km für die Reise insgesamt, also an 18 Tagen im Schnitt 349 km. Fühlte sich nach weniger an, besonders in Korsika, aber heute waren es auch wieder 600 km. Ich komme wohlbehalten und trocken daheim an und damit ist die Reise zu Ende. Jetzt geht der private Stress wieder los, ein halbfertiger Umzug, eine Wohnung noch ohne Internet, defektes Handy (mit Garantie, also nicht einfach neues kaufen), noch kein guter Motorradstellplatz an der neuen Wohnung, der lokale Gas- und Stromanbieter zickt rum, die Mautscheiße muss geklärt werden, und ich frage mich, ob ich angesichts so deutlich zahlreich werdender fremdverschuldeter lebensgefährlicher Situationen im Straßenverkehr eigentlich überhaupt noch Lust auf Motorradfahren habe, und was ich dagegen tun könnte.
So bleibt ein etwas bitterer Geschmack einer eigentlich ansonsten toll gelungenen Reise: Keiner in meiner Gruppe ist umgefallen, niemand hatte eine Panne. Ich habe den Landespreis Korsika geschafft, ich hatte tolle Touren, schöne Landschaften, und habe viel Neues kennengelernt.
Danke fürs virtuelle Begleiten! Vielleicht möchten meine schotterfreundlichen Begleiter auch mal was über ihre Erlebnisse posten.