Sardinien! Liegt da im Mittelmeer rum und ich war noch nie da, dabei habe ich seit 14 Jahren einen Motorradführerschein. Ein unhaltbarer Zustand! Die Eckpunkte der Reiseplanung ergeben sich schnell. Ich will den Passknacker Landespreis in Sardinien, also alle 65 Passknackerpunkte in Sardinien besuchen, das sind Höhenübergänge und hohe Sackgassen. Die Routenplanung ergibt 6 Fahrtage in Sardinien mit 2 Basislagern (Fewo Elini im Osten und BNB Ozieri im Norden). Ich nehme mein eigenes Motorrad, statt zu fliegen und zu mieten. Beide Fähren wähle nachts, und den nördlichsten Hafen in Italien (Genua). Ich plane je 2 Tage für An- und Abreise auf Achse über "schön", schließlich habe ich Urlaubstage extra, keine Anhängerkupplung am Auto, und mein Auto frisst auch mehr Sprit als zwei Motorräder zusammen. Achso, die Grundidee ist wieder mal 1. Motorrad fahren, 2. Motorrad fahren und 3. MOTORRAD FAHREN!! Kultur, Kulinarik und Badespaß sind was für eine andere Gelegenheit. Unterkünfte so günstig wie möglich mit eigenem Bad und gewissen hygienischen Ansprüchen. Fähren mit Kabine.
Die Planung klappt gut, bis auf die Passknackerpunkte im Südwesten der Insel. Die liegen so weit ab vom Rest, dass man eigentlich noch eine Unterkunft bräuchte, nur für eine Nacht. Ooooder, man nimmt die auf der Überführungsetappe mit, und damit dafür in Kauf, dass diese brutal lang wird. Da läuft man sehenden Auges ins Messer bzw. in eine Mörderetappe, aber hey, ohne Fleiß kein Preis.
Da meine übliche Frankreich/Italien-Reisegruppe dieses Jahr irgendwie schwächelt, muss 'ne neue Party her. Die Verkündigung meiner Reiseidee in den üblichen verdächtigen Foren ruft Herrn Freakshow auf den Plan, ein freundlicher Zeitgenosse aus dem MO24-Forum, den ich vorher noch nie getroffen habe. Er hat 'ne Aprilia Tuono V4 1100 dabei und wird von einem gemeinsamen Bekannten so beschrieben, dass ich interessiert bin. Aber Hallo! Leider decken sich unsere Reisetermine nicht ganz, so dass wir eher in Sardinien abklatschen, aber besser als alleine.
Für diese Reise möchte ich die MT-09 nutzen, denn hier ist grenzenloser Kurvenspaß im Ausland gefragt. Leider steht die MT-09 gerade auf frischen Sportreifen, und zumindest mit dem hinteren brauche ich es gar nicht erst zu versuchen, bis Sardinien oder gar wieder zurück zu kommen. Da ich schon länger einen zweiten Radsatz für MT-09 will schlage ich zu, kaufe eine gelbe Felge, lasse sie blau lackieren, und lasse dort einen bereits über den Winter günstig organisierten CRA3 aufziehen. Jawoll, Mischbereifung - mache ich immer so, hat mit dem Pilot Power 3 auch einwandfrei funktioniert. Das sorgt dafür, dass beide Reifen ungefähr gleichzeitig hinüber sind, wodurch man nur halb so oft zum Reifenhändler muss (VH, VH statt H, V, H, VH). Ich wollte eigentlich wieder mit Topcase auf der MT-09 fahren, aber ein komplexes Einzelteil meines Spezial-Topcaseträgers ließ sich einfach nicht auffinden und auch nicht anderweitig besorgen. Dann habe ich meinen treuen Tankrucksack als Hecktasche probiert, bewährt auf diversen Kanaren-Trips, das reicht aber nicht für die Bandbreite an Kleidung, die man so braucht, wenn man mit dem Motorrad über die Alpen will: 5° in der Schweiz bis 30° in Sardinien. Und so wurde es wieder die gute alte Packrolle, die eigentlich zu groß ist. Damit sie nicht beidseitig schlapp von der Sitzbank runterhängt, kamen Soziusgriffe ans Heck und eine maßgeschneiderte Holzplatte in die Packrolle. Beides nicht ideal, aber funktional. Die MT-09 trägt noch die erste Kette und hat 17500 km gelaufen. Das ist verdächtig lange für meine Verhältnisse, sieht aber noch gut aus. Ich wollte aber mal eine kürzere Übersetzung probieren, also kam ein neues Ritzel drauf - mit freundlicher Unterstützung des Dorfschmieds.
Die Vorbereitung zog sich durch diverse Dienstleisterpannen (Felgenverkäufer, Lackierer, Reifenmonteur) und meine Schusseligkeit im Umgang mit dem Topcaseträger leider bis zum Vorabend der Abreise hin, was echt nicht schön war. Und dann sprang auch noch kurzfristig wegen Krankheit eine sehr interessierte Mitreisewillige ab.
Auch Corona hat auch mir in die Reiseplanung eingegriffen, zwei von fünf gebuchten Unterkünften haben mir abgesagt und die sardische Regierung eierte bzgl. Einreise heftig rum, aber dann hat's doch geklappt - man kann ja einfach abwarten und andere Unterkünfte buchen
Und dann sind da noch die Fähren, die quasi Eckpunkte der Planung schlechthin sind. Wann die Dinger fahren und was das kostet, kriegt man gerade noch raus, aber jegliche weiteren Details sind anscheinend Herrschaftswissen. Die Webseite sagt nur "Fahr mit unseren Fähren, sie sind sehr gut!". Nicht ideal, wenn man sowas zum ersten Mal macht.
Und dann ist da noch die Liebe! Kaum sind die bayerischen Corona-Beschränkungen vorbei, schon hat man Schmetterlinge im Bauch und will nicht mehr alleine durch die Welt gehen. Die frisch gebackene Miss Blahwas sieht das ähnlich, aber nach Sardinien zieht’s mich trotzdem. Alleine, aber öfter am Handy als sonst...
Do 18.6. Nürnberg-Widnau
Das Pony wird schon den Abend zuvor vorbereitet und lauert ab schon ab Mittag fertig gepackt in der Garage...
Ein paar Meetings im Home Office ziehen sich hin, aber 17 Uhr wollen alle Feierabend machen. Also flugs rein in die Klamotten, rauf aufs Pony und los geht's! Autobahn, Autobahn, Autobahn. Dann nach Österreich rein, weiter Autobahn, die neuerdings mautfreie Autobahn an Bregenz vorbei (holperiger Tunnel) und danach rechts ab in die Schweiz. Freundlich dem Grenzer nicken und rein ins BNB "Fai's Guesthouse", aka "Bruchbude". Es ist niemand da, um mich rein zu lassen. Also anrufen, und die freundliche Asiatin kommt sofort. Sie kann kein Deutsch. Funktioniert hat das BNB, günstig war es auch, dass man sich das Bad teilt war mir vorher jedoch nicht klar. Manche Wirte lassen im Sommer tagsüber die Fenster zu und man hat Hitze in der Bude, er hier lässt die Fenster offen und das Licht abends an, so habe ich Mücken in der Bude. Aber was will man für 44 Euro in der Schweiz erwarten. Merkwürdigerweise ist der Sprit teurer als daheim - was'n da los? Was soll’s, ein funktionaler Einstieg in den Urlaub. Abendessen habe ich dabei.
Fr 19.6. Widnau-Cislago
6 Uhr aufstehen, 7 Uhr Abfahrt. Es geht durchs Engadin. Es sind Schauer angesagt für den Schweizer Teil der Route und Sonnenschein für den italienischen. Es geht ohne Mautstrecken südlich im ländlichen Berufsverkehr, schön anständig, wir sind hier in der Schweiz. Der erste Wegpunkt liegt in Liechtenstein, der alte Tunnel. Wegen einer Baustelle geht's eigentlich nicht weiter, aber man fährt einfach dort rein, wo andauernd Autos rauskommen. Merkwürdigerweise müssen auch im Finanzdienstleisterparadies Liechtenstein manche Leute morgens zur Arbeit fahren. Es ist regnerisch und recht feucht, aber man hat echt schöne Landschaften.
Dann geht's östlich in die Alpen rein. Hier findet man zügig Höhenmeter, und büßt dafür bei der Temperaturanzeige. Da werden aus 10° dann schnell mal 4°. Dass der Reißverschluss meiner alten Regenjacke – die mit dem günstigeren Packmaß - nicht ganz funktioniert, hilft nicht wirklich. Meine Route deckt sich ziemlich mit der "Grand Tour" und verläuft entlang des Engadiner Hochtals, mit Abstechern zu den Umliegenden Pässe.
Das taugt übrigens auch als Alternative zu einer Norwegenreise: Es sieht optisch recht ähnlich aus, es gibt Wasserflächen, Felsen, Flüsse, Wasserfälle in beliebiger Reihenfolge und Kombination und eine Fremdwährung, alles ist teuer; Bußgelder und manche Handytarife besonders. Also wie Norwegen, nur nicht so weit weg und nicht so weitläufig. Kann ich empfehlen!
Ich behalte mir Kürzungen vor, ziehe aber trotz Kälte und Regenschauern alles durch, außer den Abstecher zum Berninapass: Der ist sehr verkehrsreich und wegen Baustelle irgendwo und irgendwie von irgendwann bis kurz danach gesperrt. Baustellenampeln hatte ich heute schon reichlich. Tipp: Fahrt lieber im Herbst in die Alpen, dann sind zumindest die Bauarbeiten schon fertig, die nur Winterschäden beheben, und die Sommertouristen sind wieder daheim.
Kaum ist man in Italien, scheint die Sonne. Und dann geht's auch schon in die diversen vierspurigen Tunnel, den Comer See entlang. Ein eiliger Einheimischer führt mich sicher durch den Schilderwald. Das geht mir fast zu schnell, Anfunktszeit 16:00, und so biege ich ab zur Alpe Guimello. Dahin führen diverse Bergstraßen 1. bis 3. Ordnung. Noch schicker wird's am Passo Agueglio, denn dort hat man Sicht auf den Comer See.
Dann wieder in den Tunnel rein und mit Autobahnen, aber ohne Maut zur Unterkunft. So gleitet man elegant durch den Berufsverkehr und wundert sich, warum es hier eigentlich so wenig Ampeln gibt - ich vermisse die Scheißdinger aber auch überhaupt nicht. Kreisverkehre mit halbwegs aufmerksamen Verkehrsteilnehmern sind in allem überlegen, und Motorradfahrer kriege in Italien 'ne Extrawurst.
Mein BNB in Cislago ist optisch von außen wieder Bruchbude, und es ist niemand da, um mich rein zu lassen. Also anrufen, warten, und nochmal anrufen, und dann kommt jemand, aber ich kann kein italienisch. Mit Händen und Füßen finden wir mein Zimmer, aber der Wifi-Schlüssel bleibt in Dunkeln. Das klärt eine SMS. Innen ist die Bude modernisiert und schön groß (4 Betten in zwei Zimmern, ebenerdige Dusche). Das passt!