Sehr interessantes Urteil vom OLG Frankfurt

  • #1

    OLG Frankfurt: Motorradfahren im Pulk kann zu Haftungsausschluß bei Verkehrsunfall führen



    Von: RA Schlemm 9. September 2015 Abgelegt in: Motorrad-Urteile, Motorradrecht Hinterlasse einen Kommentar1.834 Abrufe


    Der Fall:
    Ein Motorradfahrer (Im folgenden als Kläger bezeichnet) fuhr zusammen mit 3 weiteren Motorradfahrern in einer Gruppe auf einer Landstraße. Der erste der Gruppe kollidierte in einer Kurve mit einem entgegenkommenden Fahrzeug. Der Kläger fuhr direkt dahinter und stürzte mit seinem Motorrad. Verursachung und Details dieses Sturzes konnten nicht aufgeklärt werden. Der Kläger erlitt bei dem Sturz erhebliche Verletzungen, sein Motorrad wurde vollständig beschädigt. Der hinter ihm fahrende Motorradfahrer kam ebenfalls zu Fall, der letzte Motorradfahrer der Gruppe konnte sich zwischen den rutschenden und liegenden Motorrädern ohne Sturz hindurchschlängeln. Der Kläger behauptete, dass er aufgrund der Kollision des ersten Motorrads sein Motorrad habe abbremsen müssen und noch rechtzeitig zum Stehen gebracht habe, als der hinter ihm in der Gruppe fahrende Motorradfahrer auf das Heck seines Motorrads aufgeprallt sei und ihn dabei mitgeschleppt habe.
    Die Entscheidung:
    Nachdem das Landgericht Darmstadt nach einer Beweisaufnahme (Zeugen; Sachverständiger) die Klage abgewiesen hatte, musste sich das OLG Frankfurt als Berufungsgericht mit dem Fall beschäftigen. Nach Auffassung des OLG habe die Beweisaufnahme ergeben, dass es in der Gruppe keine feste Reihenfolge gegeben habe und dass die Motorradgruppe einvernehmlich den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten habe. Offensichtlich wurde eine Geschwindigkeit von 60 km/h gefahren (ein Zeuge schilderte einen Abstand zum Vordermann von 5 m). Interessant ist die Einschätzung des Senats bezüglich Motorradfahrens in einer Gruppe, welche hier wörtlich wiedergegeben werden muss:
    “Für den Senat stellt sich damit das durchaus im Straßenverkehr vertraute Bild dar, dass Motorradfahrer in einer Gruppe fahren, bei der alle den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht einhalten und die Reihenfolge je nach Verkehrssituation und anderen Umständen wechseln kann.”
    Im Endergebnis hat das OLG Frankfurt die Berufung zurückgewiesen mit der Argumentation, dass alle Beteiligten in der Gruppe einvernehmlich ein besonderes Risiko eingegangen seien, um das entsprechende Gruppenfahrgefühl zu erreichen. Es vertrat die Auffassung, dass jedem in der Gruppe die gleiche Situation hätte passieren können wie dem Kläger.
    Quelle: OLG Frankfurt, Urteil vom 18. August 2015 – 22 U 39/14 –, juris
    Fazit:
    Diesseits ist (angesichts der Formulierung des vertrauten Bilds einer Motorradgruppenfahrt) nicht bekannt, ob unter den /Richtern des 22. Zivilsenats des OLG Frankfurts Motorradfahrer sind. Jedem versierten Motorradfahrer müsste bekannt sein, dass – nicht nur auch- sondern gerade bei einer Fahrt in einer Motorradgruppe besonders auf den Sicherheitsabstand geachtet werden muss. Im gegenständlichen Fall ist die Entscheidung angesichts des in der Beweisaufnahme sich ergebenden zu geringen Sicherheitsabstandes nicht zu beanstanden.
    Quelle;http://lawbike.de/olg-frankfurt-motorrad…unfall-fuehren/

    Gruß Siggi

  • #2

    Ja interessant.
    Sicherheitsabstand ist ohnehin immer ein kritisches Thema...


    Interessant dazu auch die Ausführungen vom Autor Bernd Spiegel im Buch "Die obere Hälfte des Motorrads"...

  • #3

    Das Gericht hat meiner Meinung nach sehr weise entschieden "das hätte jedem passieren können".
    Was die Gruppe betrifft, sträuben sich mir die Nackenhaare :roll:
    5 m hinter dem Vordermann geht doch nur, wenn ich genau sehe, was vor ihm passiert.
    Angenommen, der Kläger hat wirklich noch bremsen können und sein Kumpel ist ihm hinten drauf gefahren -
    Warum sollte er das dann nicht zugegeben, dafür hat er doch schließlich eine Haftpflichtversicherung.
    Die damit verbundene Rabatterhöhung ist erträglich verglichen mit dem Schaden seines Kumpels.
    Wenn es aber anders war, kann er das natürlich nicht, wäre letzlich Versicherungsbetrug und häufig (hier anscheinend nicht) lassen sich solche Unfälle durch Sachverständige rekonstruieren.

    Gruß, Martin

  • #4

    Sollte sich der Unfall wie dargestellt ereignet haben, ist das Urteil falsch.


    Es spielt für mich eine untergeordnete Rolle, ob in der Gruppe gefahren wurde oder nicht, wenn mir einer ins Heck knallt, dann will ich auch den Schaden ersetzt haben. Abgesehen von der Gruppenfahrt muss immernoch jeder für sich selbst entscheiden, ob der Sicherheitsabstand ausreichend ist.


    Ausserdem empfinde ich es als absoluten Blödsinn, einfach davon auszugehen, dass bei Gruppenfahrten grundsätzlich die Fahrer abgesprochen haben, den Sicherheitsabstand nicht einzuhalten. Wie kommt der Richter denn darauf ?


    Was ist denn bei einem Konvoi z.B. bei einer Hochzeit ? Bleibt man da auch grundsätzlich auf seinem Schaden sitzen ? Das "Gruppengefühl" ist bei Autos dann wohl auch nur durch Unterschreitung des Sicherheitsabstandes möglich ?


    Dieses Urteil macht Gruppenfahrten zu einem unkalkulierbarem finanziellen Risiko.


    Quintessenz: Bei Unfall in der Gruppe ist man zufällig aufeinandergetroffen, die anderen fahren weiter....


    Bei Verletzten geht das natürlich nicht, aber dann stellt sich mir die Frage, wie es dann aussieht. Zahlt dann die Versicherung auch die Kosten für Operationen etc nicht, mit der selben Begründung wie oben ?


    Insgesamt ein fatales Urteil, dass den Versicherungen einen Freibrief in die Hand spielt. Toll, danke.

  • #5




    Dem ist nichts hinzuzufügen, genauso sehe ich das auch.
    Dieses Urteil wurde wahrscheinlich von einem Richter gesprochen der noch nie auf einem Motorrad gesessen hat

    Gruß Siggi

  • #6

    Ich empfinde das Urteil auch als falsch, das würde ja bedeuten, dass die Gruppe als Ganzes haftet und gegeneinander keinerlei Ansprüche
    mehr hat, weil man sich ja stillschweigend darauf geeinigt habe, Regeln / Vorsichtsmaßnahmen zu mißachten.Allerdings kann ich sowieso
    viele Urteile nicht mehr nachvollziehen.


    Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Richter in einem Strafverfahren genauso geurteilt hätte.Überhaupt, wo ist denn das Strafverfahren dazu ?
    Es geht doch auch um Körperverletzung oder ?

  • #7



    Einvernehmlich muss kein aktiver Vorgang sein. Wenn einer 5m hinter mir fährt, dann bedeute ich ihm, dass er mehr Abstand halten soll. Wenn ich das nicht mache und/oder selbst auch zu wenig Abstand halte ist das einvernehmlich.


    Deine Anmerkungen "Freibrief und unkalkulierbares Risiko" treffen ja nur zu, wenn man sich nicht an die Regeln hält. Hält man sich hingegen an die Regeln, so fährt man nicht mit unkalkulierbarem Risiko und die Versicherung hat auch keinen Freibrief.


    Ich weiß ja, dass es genug Menschen gibt die glauben, auf einem Motorrad gelten die Verkehrsregeln nicht. Tun sie aber nunmal doch - Gruppe hin oder her.


    Zu dem Urteil selbst habe ich keine Meinung - dazu habe ich mich zu wenig damit befasst. Ich wollte nur was zu Endress' Aussage anmerken.

    Schweinerei...

  • #8

    Moin !


    in diesem Falle ist es doch mehr oder minder klar: " Verursachung und Details dieses Sturzes konnten nicht aufgeklärt werden..."
    Kläger sagt: der Beklagte hat mich gerammt und mitgeschleift.
    Beklagter sagt: nein, ich habe ihn nicht gerammt.
    Die Beweismittelaufnahme konnte nicht eindeutig klären, wie die verschiedenen Kaltverformungen zustande gekommen sind....
    Dementsprechend keine eindeutige Schuldzuweisung möglich.
    Folglich bleibt jeder auf seinem Schaden sitzen. Punkt. So ist das gesetzlich geregelt.
    Ob das unserem Rechtsempfinden entspricht, ist ´ne andere Sache.


    Und nun ratet ´mal, weshalb ich, wenn ich denn in der Gruppe fahre, immer hinten zu finden bin !


    idS Lazy

  • #9


    Bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h beträgt allein der Reaktionsweg schon 15m. Dazu kommt dann noch der Bremsweg von wenigstens noch mal 15m. Wie also soll der Kläger "rechtzeitig zum Stehen" gekommen sein? :icon-confused:

  • #10

    Moin Katzenauge,


    nee, der erste Moppedfahrer war ein Stückchen voraus, die drei hinteren ca. 5m auseinander.
    Wenn der Kläger den Unfall "hat kommen sehen" und schon gebremst hat, so ist das durchaus möglich, rechtzeitig zum Stehen zu kommen.
    Für den dritten hätte es aber nie gereicht !
    Aber wurscht, wenn es schon Sachverständige/Richter nicht zweifelsfrei klären können, so können wir das mit Sicherheit auch nicht !
    Fazit: auch im Pulk Abstand halten !


    idS Lazy

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